Die vier antiken Kardinaltugenden Fortitudo (Tapferkeit), Justitia (Gerechtigkeit), Temperantia (Mäßigung) und Prudentia (Klugheit) treffen sich seit über 2000 Jahren regelmäßig zur Bestandsaufnahme gesellschaftlichen Verhaltens. Und tatsächlich fällt in diesem Jahr die Bilanz positiv aus. Es scheint so, als hätte ein grundlegendes Umdenken stattgefunden. Statt Hochmut, Habgier und Wollust stehen nach Jahrtausenden plötzlich Empathie, Nachhaltigkeit und solidarisches Miteinander ganz hoch im Kurs. »Sünden sind out, Tugenden sind in!« Eigentlich sollten nun alle glücklich und zufrieden sein, doch bei genauerer Betrachtung hat jede Tugend auch negative Entwicklungen zu verzeichnen. Skepsis macht sich breit. Fortitudos Rat an die Menschen wäre: »Weniger posten, mehr fighten. Weniger Bekenntnis, mehr Tat.« Und was, wenn nun doch die Psychomachia kommt, das prophezeite letzte Gefecht zwischen Tugenden und Lastern – hätte man nicht vorher am Trainingslager teilnehmen müssen, um den Kampf tatsächlich zu gewinnen? Rebekka Kricheldorf bedient sich der jahrtausende-alten Mythen von Tugenden und Sünden und hinterfragt auf grotesk-satirische Weise den allgemeinen Trend zum Gutmenschentum. Alles nur Show oder lang ersehnte Erkenntnis? Diese Frage bringt selbst die Tugenden in existentielle Erklärungsnöte.
Fotos: © Anton Säckl
Pressestimmen
»Vier Schauspielerinnen verkörpern die Tugenden: Marie Seiser, Judith Strößenreuter, Andrea Strube und Charlotte Wollrad, die seit dieser Spielzeit zum DT-Ensemble gehört. Sie liefern sich eine beeindruckende und eloquent geführte Debatte und drehen dabei außerordentlich spielfreudig auf (...). Sehr viel Applaus gab es am Premierenabend im voll besetzen DT-Studio.«
Peter Krüger-Lenz, Göttinger Tageblatt 7.9.2024
»Die Verkörperung eben jener unvollkommenen, allen Exzessivitäten verfallenen Tugenden, die nachts mit den Lastern Völlerei und Wollust in Clubs tanzen gehen und selbst nicht von diversen charakterlichen Abgründen befreit sind, gelingt den Schauspielerinnen Marie Seiser, Judith Strößenreuter, Andrea Strube und Charlotte Wollrad dabei von Anfang bis Ende. Ob groteske Satire, emotionaler Ausbruch, oder doch die reißerische Inszenierung eines Kriegs-Szenarios, die Schauspielerinnen präsentieren ein dramatisches Spektakel, das selbst die derbsten Skurilitäten des Mensch-Seins hervorbringt.«
Antonia Fiege, Kulturbüro Göttingen 8.9.2024
»Laura Robert, die Bühnenbildnerin, hat eine Art historischen ›all inclusive‹-Flohmarktfundus in die kleine Göttinger Bühne gepfercht; als Requisitarium der Jahrtausende. Und Annabella Gotha hat das Frauen-Quartett in funkelnde, viele Phantasien stiftende Kostüme gesteckt – Charlotte Wollrad und Judith Strössenreuter, Marie Seiser und Andrea Strube markieren jede für sich und alle mit allen ein flirrend-mitreißendes Pandämonium der entfesselten Geisterinnen auf der Achterbahn. Das ist perfekt und grandios von der ersten bis zur letzten Minute. (...) Auch hier also gilt: Nix wie hin.«
Michael Laages, freier Redakteur 9.9.2024
»Es gibt gute Gründe, die Aufführung zu mögen. Da ist zuerst die schauspielerische Leistung. Mit Inbrunst verkörpern die vier Frauen Marie Seiser, Judith Strößenreuter, Andrea Strube und Charlotte Wollrad ihre Rollen, in die sie von Anfang bis Ende eintauchen. Großes Lob auch für ihre Kostüme (Annabelle Gotha), die daran angelehnt, wie die Tugenden oft dargestellt werden – so zum Beispiel Justitia mit Waage – , mit Elementen wie den Schuhen von Stiefeln auf Plateau-Sohlen bis zu einer Art Turnschuh gut in die heutige Zeit passen würden. Janusköpfig hat die Maske die Klugheit „Prudentia“ im Schlangenlook gelungen gestaltet. (...) Das Premierenpublikum applaudierte ausgiebig und begeistert und spendierte dazu viele Beifallsrufe.«
Ute Lawrenz, Hessische/Niedersächsische Allgemeine 10.9.2024
»Sprachlich ist das Stück eine formulierungsspaßige Freude. Inhaltlich beeindruckt, wie humorvoll leicht aktuelle Diskurse angeschnitten und dabei doch in schlauen Zuspitzungen ernst genommen werden. Gelungen ist es auch, wie Regisseurin Meera Theunert den überdrehten Sprachgestus temporeich in eine Stand-up-Comedy-Ästhetik übersetzt. Gestisch exzessiv zicken, albern, schreien, argumentieren und polemisieren die Darstellerinnen Marie Seiser, Judith Strößenreuter, Andrea Strube und Charlotte Wollrad gegen- und miteinander, und begeistern mit ihrem spielfreudigen Vergnügen, den Text zu verlebendigen. (...) Die Komplexität des Themas vermittelt dieser theatrale Ethik-Grundkurs höchst anregend mit überbordender Komik. Sehenswert!«
Jens Fischer, taz 14.9.2024
»Regisseurin Meera Theunert hat hier mit ihrem Ensemble eine sehr schöne Inszenierung geschaffen, in der, bei all dem Streit zwischen den Tugenden, manches Wort gesungen und chorisch gesprochen wird. (...) Die Aufführung ist ein gelungener Einstand in die neue Spielzeit des Deutschen Theaters.«
Vincent Sartorius, Scharfer Blick 21.9.2024