Theater einBLICK

07.06.2024

Mit Satire und Leichtigkeit über den Ernst der Lage

Ina Laengner, Vincent Satorius und Franziska Sordon haben als Mitglieder des hauseigenen Kritiker*innenclubs des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, ein Gespräch über die Produktion »Sein oder Nichtsein« geführt.
Sein oder Nichtsein
Zum Stück

Welche Themen und Umsetzungen waren für dich faszinierend?

Die Inszenierung des Deutschen Theaters unter der Regie von Nick Hartnagel mit deren modernen Aspekten wie beispielsweise einer Theaterkantine und dem Miteinbeziehen von Mitarbeiter*innen des Deutschen Theaters in kleinen Rollen fand ich toll. Das Publikum wurde ebenfalls häufig direkt adressiert, ein Schauspieler wanderte mit Blumensträußen durch die Reihen. Ein Glaskasten wurde mit in das Bühnenbild eingebaut, hinter und vor dem in mehreren Ebenen geschauspielert wurde. Das Bühnenbild von Tine Becker hat beim Spiel auf der Bühne fasziniert. Ein Drehen und Umbauen nahm uns als Zuschauer*innen im Wandel und Wechsel der einzelnen Szenen und Ebenen mit. Amüsant war die Transition zwischen Gestapo-Hauptquartier und Theater-Bühne, mit verschiedenen Türen, die durch das Öffnen unterschiedliche Geräusche wie Foltergeschrei, Musik und Publikumsgelächter hervorbrachten. Auch das Spiel mit Licht und Schatten hinter dem Theater-Vorhang war faszinierend, welches den Gruppenführer Erhardt, großartig gespielt von Christoph Türkay, noch mächtiger erschienen ließ.

Für mich kamen Assoziationen zum »Großen Diktator« auf, auch Gestapo Männer bewegten sich tänzerisch über die Bühne. Mit Elementen von Humor und ›Sich-Lustig-Machen‹ wurde die Schwere der Zeit und das abgrundtief Schreckliche teilweise auf absurde Weise inszeniert.

Auch der Eifersucht in der Paarbeziehung wurde eine große Rolle beigemessen, zum Beispiel wurden die Nicht-Befriedigung von Bedürfnissen, Verrat, Eitelkeit thematisiert. Gabriel von Berlepsch war als Josef Tura ein großer Kämpfer um seine Ehefrau und Bühnenmutter Maria Tura, gespielt von der fabelhaften Rebecca Klingenberg. Eine tolle schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles durch die gesamten zwei Stunden hindurch. Ein schnelles Spiel, kurzweilig, amüsant und tragisch.

 

Inwiefern ist eine Metaebene erkennbar? Theater im Theater…?

Mir hat das Schauspiel im Schauspiel gut gefallen, welches in dieser Inszenierung sehr gut umgesetzt fand. Das Theater hat die Kraft auch Schwere Themen darzustellen. Durch die Schauspieler*innen und deren Humor und Kreativität mitunter können Themen nahbarer gemacht werden.

Für mich sagt dieses Stück aus, dass in dem „Gedanken-Spielen“ und dem nicht-realen, alles real werden kann. Das Theater bietet Möglichkeiten, die Fantasie weiter zu spinnen, mit neuen Ideen zu füllen und diese auch weiterzugeben. Teilweise wurden Improvisationselemente in das spielerische Handeln des Ensembles eingebettet. Ein Bild blieb besonders im Kopf, in dem die Schauspieler*innen in Publikumsnähe am Bühnenrand standen und sich von Hand zu Hand die »Kraft des Theaters« weiterreichten. Es gab trotz Satire, Leichtigkeit und Komödienelemente viele berührende Szenen, bei denen uns Zuschauer*innen immer wieder der Ernst der Lage bewusst gemacht wurde und einem manchmal das Lachen regelrecht im Hals stecken blieb.

 

Welche Bezüge lassen sich in dem Stück zu aktuellen rechten Entwicklungen herstellen?

Leider gab es in der Geschichte dieses Landes sehr extrem rechte Bewegungen und auch jetzt weht politisch ein zunehmend rechter Wind, was uns Sorge bereitet. In dieser Inszenierung wird Humor als Waffe und Gegenwehr eingesetzt. Das Stück macht Mut! Für Solidarität untereinander und Mut zur Kreativität.

Das Leben zwischen dem »Ja« und »Nein«, das Nicht-Wissen, was passiert, und die Widersprüchlichkeit des Lebens waren zentrale Aspekte des Schauspiels. Rebecca Klingenberg überragte mit ihrem philosophischen Monolog. Widersprüche auszuhalten und das Anders-Sein macht vielen Menschen Angst. Wir müssen es heutzutage aber umso mehr Lernen.