Theater einBLICK

17.02.2025

Kampf um die Köpfe

Britta Keßler und Vincent Sartorius haben für den hauseigenen Kritiker*innenclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Produktion »Das deutsche Haus« besucht.
Das deutsche Haus
Zum Stück

Haben Sie sich schon mal gefragt, was in einer Burschenschaft vor sich geht?! Dann kann das Theaterstück von Autor und Regisseur Philip Löhle am Deutschen Theater in Göttingen empfohlen werden, welches am 27. Januar uraufgeführt wurde. Skurril, grotesk, satirisch und schauspielerisch sehr überzeugend zeigt das Ensemble hier, ausgehend von Recherchen über Burschenschaften, aber nicht dokumentarisch, einen Rundumschlag über die Burschenschaften und wie strengkonservative, teils rechtsextreme Ideen sich erhalten, neu erfinden und immer wieder in die Gesellschaft fließen.

Zu Beginn des Stückes fragt Lukas Adler (Christoph Türkay), ein Student, der keine Wohnung findet, die Zuschauer*innen im Saal des Deutschen Theaters nach einem Zimmer. Wenig später kommt er an die Tür einer Verbindung. Er ist, so scheint es, im Paradies gelandet, als Björn Kappel (Andrea Strube) ihn herumführt und ihm die Küche, den Gemeinschaftssaal sowie sein großes Zimmer zeigt und dazu noch den Preis von 150 Euro nennt. Unschlagbar günstig, nimmt er das Angebot an. Von nun an ist er Teil einer ›Gemeinschaft‹ und muss sich allabendlichen Trinkgelagen hingeben und gemeinsam Volkslieder singen. Die Sprache der anderen ist immer doppeldeutig, insofern, dass ruhig gesprochen wird, der Inhalt aber aggressiv ist. Im zweiten Moment merkt man erst, dass diese Sprache herabwürdigend und niederträchtig ist. Frauen sind in dieser Gemeinschaft nicht zugelassen und deshalb meinen die Männer, sich ungehemmt sexistisch verhalten zu können. Lukas Adler passt sich kleidungstechnisch (Kostüme Thomas Rump und Nathalie Noël) der Gemeinschaft an. Wie alle andern trägt auch er jetzt Hemden und Anzughosen. In dieser Gemeinschaft gibt es Ränge und als unterster Rang hat Lukas wenig zu sagen. Wenn er um Hilfe bittet, wird ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, denn hier herrschen strenge Hierarchie und Ordnung.

Seine Freundin Pauline (Tara Helena Weiß) erkennt, in welcher Lage er sich in diesem ›deutschen Haus‹ befindet und möchte ihn befreien, was Lukas allerdings nicht so sieht. Als er allerdings die anderen Mitglieder hört, wie sie einen Umsturz planen und die Gesellschaft verändern wollen, dämmert es ihm, dass er aus diesem Haus raus muss. Er versucht zu fliehen und scheitert. Ein Gefangener dieses Hauses. Für die anderen Mitglieder der Gemeinschaft heißt das, Lukas muss ein neues Bewusstsein in seinen Kopf bekommen…

Das Bühnenbild (Thomas Rump und Nathalie Noël) ist einzigartig, weil es die Ränge, Säulen und Türen des Zuschauer*innenraumes des Deutschen Theaters auf der Bühne fortführt. So hat es den Anschein, dass auch wir Zuschauer*innen irgendwie Teil dieses Theaterstücks, dieses ›deutschen Hauses‹, dieses Deutschen Theaters sind. Durch die offensichtliche Eingebundenheit der Zuschauer*innen sollen Situationen zum Nachdenken und Lachen entstehen.

Dies gelingt. Denn die Inszenierung reiht sich ein in die sehenswerten Aufführungen in dieser Spielzeit, die sich mit dem Umgang mit der Demokratie und der Frage »Welche Gesellschaft wollen wir sein?« beschäftigen.

Es lohnt sich genau hinzusehen und hinzuhören. Nicht nur, dass das Bühnenbild den Theatersaal in den Bühnenbereich verlängert. Dies wird dann zusätzlich noch genutzt, um auf den aktuellen Sanierungsstopp mangels vermeintlich leerer städtischer Haushaltskassen hinzuweisen. Als Lukas das erste Mal das deutsche Haus betritt, bestaunt er dessen Prunk und fragt Björn, ob hier saniert worden sei. Worauf dieser mit einer Rundum-Geste in den Zuschauerraum bejaht, es sei sogar vollumfänglich saniert worden. Dies lässt das über die Sanierungs-Misere informierte Publikum auflachen. Dieses Lachen wird ihnen jedoch bald vergehen.

Die anfänglich vermutete Indoktrinierung von Lukas durch die Burschis mittels verbaler Gehirnwäsche endet nämlich in einem spektakulären Horrorszenario. Mit einem einer Spinne ähnelnden riesigen Apparat, der von der Decke herabschwebt, wird Lukas nicht nur das Gehirn eines der linientreuen Altvorderen eingepflanzt, sondern dessen Gehirn nebst Rückgrat. Lukas wird also nie mehr in der Lage sein, eigene Gedanken zu entwickeln und Rückgrat zu zeigen. Nun ist das grauenvolle Geheimnis hinter den zunächst eher putzig daherkommenden Einheitsfrisuren der Bewohner des deutschen Hauses gelüftet. Untermalt wird dieses Schauerszenario von satanischer Musik mit monotonen Bässen, die es einem kalt den Rücken runter laufen lässt.

Aufschrecken lässt auch der Satz »Die Demokratie gibt uns die Mittel, ihre eigene Abschaffung voranzutreiben«. Diese Mahnung kommt im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar genau richtig, um aufzuzeigen, wie immens wichtig es ist, dass Demokratiefeinde und Menschenverachter niemals auch nur einen Hauch Macht bekommen dürfen. Macht ist missbräuchlich – damals wie heute!

Die Reaktionen des Publikums reichten vom empörten Verlassen des Theatersaals schon während der Vorstellung bis zu langanhaltenden, begeisternden Applaus am Ende.