Haben auf der Bühne bereits die Sanierungsarbeiten des Deutschen Theaters begonnen? Die Zuschauer*innen schauen auf eine Wand aus OSB-Holzplatten. Weit gefehlt, es handelt sich um eine großformatige Projektionsfläche, mitten auf der Bühne, auf der die Zuschauenden erleben können, wie sich eine scheinbar glückliche Familie mit Eigenheim und Wohlstand zu Individuen auseinanderlebt, die sich kaum mehr verstehen. Die Werkstätten und Techniker*innen haben nach dem Entwurf des Bühnenbildners Daniel Roskamp hervorragende Arbeit geleistet, denn im weiteren Verlauf hebt sich die Bretterwand, es kommen Spiegelflächen und der Kriegsschauplatz in Troja hervor der detailverliebt und beängstigend dem Publikum vor Augen führt, wie grausam die Menschen untereinander sein können. Auch die Szenen mit echohaften Stimmen der Darsteller*innen, die sich in den blutrot beleuchteten Logen links und rechts der Bühne gegenüberstehen, wirken beeindruckend. Die Kostüme (Nina Kroschinske, Juliane Molitor) aus der Zeit der sophokleischen Antike passen sehr gut ins Bühnenbild, ebenso die Einheitskleidung einer scheinbaren Durchschnittsfamilie der Gegenwart. Im Verlauf des Stückes wird sich der Familienvater Michael, sehr authentisch gespielt von Bastian Dulisch, von einem Mann mit großen Visionen zu einem überängstlichen Menschen entwickeln, der den Bezug zum Sohn und zu seiner Ehefrau Christine verliert, da für ihn Verantwortung und Sicherheit für seine Familie an erster Stelle stehen. Er baut einen Bunker, hortet Vorräte und verliert am Ende alles. Ebenso ging es Ajax, den auch Bastian Dulisch verkörpert, und dessen Geist von Charlotte Wollrad gespenstisch gut gespielt wird. Antike und Gegenwart werden in einer Person vortrefflich miteinander verflochten. Die Geschichte von Troja wird parallel zum Jetzt immer wieder in Szene gesetzt und zeigt auf, wie sehr Menschen sich in Machtbestrebungen, aber auch aus Sehnsucht zu absoluter Sicherheit und aus überzogenem Verantwortungsbewusstsein in den Wahn treiben lassen und die Jugend aus den Augen verlieren. Gustav Rueb (Regie) ist es mit »Ajax« hervorragend gelungen, uns einen schonungslosen Bick auf Generations- und Beziehungskonflikte zu ermöglichen, die aus stillschweigenden Annahmen seit Jahrtausenden bestehen. Dieses Stück erinnert mich einmal mehr daran, dass Erwachsene sich mehr mit der Jugend befassen, zusammen im Hier und Jetzt auf Augenhöhe die Zeit genießen, Gefühle äußern und gemeinsam friedvolle, erreichbare Ziele für die Zukunft entwickeln müssen. Jedem Menschen sollte ermöglicht werden, selbstbestimmt erwachsen zu werden und bodenständige Vorbilder zu haben. Dabei ist es nicht zielführend, wenn die Mutter, überfürsorglich dargestellt von Judith Strößenreuter, immer nur das Kind Jonathan (Paul Trempnau) sieht oder der Vater Angst schürt. Am Ende zählt das demokratische Miteinander, aber auch dass Mensch unverstanden und selbstbestimmt, mit leichtem Gepäck, die Bühne verlassen könnte. Lassen Sie es nicht so weit kommen, gehen Sie mit ihren Lieblingsmenschen in diese hervorragende Inszenierung, reden und verstehen Sie einander. Leben Sie in der Gegenwart, genießen Sie die Zeit, das gemeinsame Erleben zählt, denn absolute Sicherheit wird es nie geben, das zeigt diese gelungene Inszenierung sehr anschaulich.