Vor Sonnenaufgang

Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann
dt.1
Premiere 04. März 2023
Dauer 180 Minuten
Ewald Palmetshofer: Der 1978 in Linz geborene Autor studierte Theologie, Philosophie und Psychologie in Wien. Seine Karriere als Dramatiker startete er am Schauspielhaus Wien, das regelmäßig seine Werke uraufführte und ihn zum Hausautor, Gastdramaturgen und Kurator machte. 2008 wurde er in der Kritikerumfrage von Theater heute zum besten Nachwuchsautor gewählt. Aufführungen seiner Stücke wurde mehrfach zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, einem der wichtigsten Festivals für deutschsprachige Gegenwartsdramatik. 2015 gewann er dann mit »die unverheiratete« den Mülheimer Dramatikerpreis. 2020 wurde »die verlorenen« in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Stück des Jahres gewählt. »Vor Sonnenaufgang« entstand 2017 für das Theater Basel und war ebenfalls für den Mülheimer Theaterpreis nominiert.
Vor Sonnenaufgang, ein vager Zeitraum, in dem die nächtlichen Schatten verblassen, das verheißungsvolle Licht des jungen Tages noch nicht erstrahlt. Die Dämmerung ist eine Übergangszeit, in der sich Vergangenheit und Zukunft begegnen.
Die Familie des Unternehmers Egon Krause scheint für die Zukunft gut gerüstet. Krause und seine Frau Annemarie haben sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Die Firma, mittlerweile geführt von Schwiegersohn Thomas, sichert ein komfortables Einkommen für alle. Thomas und seine Frau Martha, Krauses Tochter aus erster Ehe, erwarten ein Kind, dessen Geburt unmittelbar bevorsteht. Marthas Schwester Helene ist extra aus der Stadt in die heimatliche Provinz gekommen, um das Ereignis nicht zu verpassen. Und plötzlich steht da noch Alfred auf der Terrasse, Thomas‘ Freund aus Studientagen, der sich wundert, dass Thomas mit rechtspopulistischen Parolen Lokalpolitik betreibt. Doch die Familienidylle ist trügerisch.
In Ewald Palmetshofers »Vor Sonnenaufgang« wird der Zerfall einer bürgerlichen Familie zur Chiffre für die Erosion der Gesellschaft. Die Familienmitglieder haben sich längst gegenseitig verloren, stehen vereinsamt in ihrem Leben. Wenn die Sonne aufgeht, stehen sie im grellen Licht des Tages, dem jede Verheißung fehlt.
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Pressestimmen

Sidler-Inszenierung gibt dem Bühnenbild eine tragende Rolle »Das Bühnenbild spielt diesmal eine Hauptrolle. Jörg Kiefel hat die Bühne nachhaltig mit einem etwa kniehohen Raster aus scharfkantigen Vierkanthölzern bedeckt. Das Ensemble balanciert auf diesen Hölzern, springt darin herum und droht manchmal abzustürzen – wie im richtigen Leben eben ... Intendant Sidler hat das Stück gewissenhaft und präzise inszeniert. Er vertraut auf den Rhythmus der Sprache und – zu Recht – auf die große Strahlkraft seines Ensembles. Die Protagonisten arbeiten sich aneinander ab ... Bisweilen balancieren die Akteure leichtfüßig über das Bühnenbild. Dann wieder nutzen sie die Balken, um sich in erstaunlicher Schräglage abzustützen. Sogar einige wunderschöne Choreografien mit Musik von Michael Frei haben Platz in diesem Holzgestell. Ein herausforderndes Bühnenbild ... Der Abend ist bestimmt keine leichte Kost. Der Text kommt wuchtig daher und fordert viel Konzentration. Doch der Einsatz lohnt sich – ein sehr intensiver Abend.«
Göttinger Tageblatt, Peter Krüger-Lenz 6.3.2023

»Vor Sonnenaufgang« von Ewald Palmetshofer am Deutschen Theater Göttingen »Intensives Sprechtheater mit hervorragender Ensembleleistung - die Premiere am Deutschen Theater Göttingen begeistert … Sidler lässt die drei Stunden in, auf und unter einem hölzernen Gerüst spielen. Die drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler vollbringen wahre Balanceakte, zum Glück ohne Unfall. Das Leben als unsicherer Untergrund – dazu sind Abschnitte durch choreografische Einlagen voneinander getrennt. Sonderapplaus gab es für die akrobatischste Nummer mit Helene und Alfred. Vom ersten Moment des Abends entsteht intensives Sprechtheater ohne jedes Mätzchen ... Wie oft bot das Göttinger Ensemble eine hervorragende Gemeinschaftsleistung, aus der Einzelne herauszuheben sich verbietet. Das ungewöhnliche Bühnenbild (Jörg Kiefel) und das Thema, das durch Spiel Kontur gewann, machten das Ganze zu einem anregenden, reichlich beklatschten Theaterereignis.«
Johannes Mundry, HNA 6.3.2023

Familienaufstellung »Die Sprache ist auf interessante Form gebunden, teils fast formal und dennoch – allein durch die meisterhafte Leistung der Darsteller*innen – nie artifiziell. Das Kostümbild ist unauffällig, aber sehr gut abgestimmt auf die Persönlichkeit der einzelnen Figuren, entwirft realistische Kontraste. Sidler verliert in seiner Inszenierung die Handlungsfäden nie aus den Augen, ebenso wenig wie seine Figuren. Und auch wenn das Stück seine Längen hat, bleibt eine gewisse Grundspannung immer vorhanden. Abwechslung bringen auch die musikalischen Performance-Einlagen, die in der Premierenvorstellung viel Szenenapplaus bekommen und ihren Schwerpunkt auf verschiedene Figuren legen. Einen riesigen Anteil am Erfolg dieses langen Abends trägt das herausragende Ensemble des Deutschen Theaters: Florian Eppinger spielt den Egon geradezu beängstigend real. Rebecca Klingenberg geht in der Rolle der Annemarie vollkommen auf, immer changierend zwischen Fassade, Frustration und Wahnsinn. Anna Paula Muth gibt der Helene einen ruhigen, aber bestimmten Unterton, der in grellem Kontrast steht zur launischen Berg- und Talfahrt der Martha, die von Gaia Vogel eindrucksvoll auf die Bühne gebracht wird. Vogel muss nicht nur alle möglichen Emotionen intensiv durchleben, sie hat durch ihr Schwangerschaftskostüm mit riesigem Bauch sowie ihre dadurch eingeschränkte Bewegung im Zusammenspiel mit dem Holzgerüst des Bühnenbildes auch die körperlich anstrengendste Partie und meistert sie mit Bravour. Bastian Dulisch versprüht als Thomas Hoffmann Kälte und Zynismus und erweist sich als Meister der Untertöne. Im krassen Gegensatz dazu gibt Gabriel von Berlepsch den Alfred Loth als zwar aufbrausenden, insgesamt aber auch warmherzigen Mann mit einigen Idealen und verschmilzt dabei vollständig mit seiner Figur. Roman Majewski bringt als Dr. Schimmelpfennig einige Komik, aber ebenso ernste Töne gekonnt ein. Hauptmanns »Vor Sonnenaufgang« bleibt, wenn auch modifiziert, in vielen Aspekten erkennbar. Ein von Anfang bis Ende zwar langer, aber auch begeisternd intensiver Theaterabend mit einem glänzend aufgelegten Ensemble und einem durchweg stimmigen Regie- und Bühnenkonzept.« Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱ 9 von 10 Sternen!
Marcel Lorenz, unddasleben.wordpress.com 7.3.2023

Ein schonungsloser Blick auf den in die Welt geworfenen Menschen »Unterbrochen wird das Miteinander der Schauspieler*innen durch musikalische Zäsuren von Michael Frei, die von tänzerischen Einlagen (Choreografie: Valentí Rocamora i Torà) begleitet werden ... Die musikalischen Unterbrechungen gehen in immer groteskere Tanzeinlagen über, welche die anfängliche choreografische Synchronität zwischen den Beteiligten in die Ferne rücken lässt: Das Leben gerät aus dem Takt … Die Stärke beweist das Stück vor allem in den Begegnungen, Gespräche und Diskussionen der Figuren. Die Regungslosigkeit der Stiefmutter Annemarie, umwerfend verkörpert von Rebecca Klingenberg, als deren Mann Egon Krause, gespielt von Florian Eppinger, wieder einmal betrunken nach Hause kommt. Die Konfrontation der entfremdeten Studienfreunde Thomas und Alfred, dargestellt von Bastian Dulisch und Gabriel von Berlepsch, deren dualistische Weltsichten immer wieder durchbrochen werden von der einstigen emotionalen Verbindung. Das Gespräch zwischen den Schwestern Helene und Magda, gespielt von Anna Paul Muth und Gaia Vogel, welches das berufliche Scheitern der jungen Helene aufzeigt, ebenso wie das Hadern Magdas mit ihrer Rolle als werdende Mutter … ›Vor Sonnenaufgang‹ wirft den schonungslosen Blick auf den Menschen, der in die Welt geworfen und in seiner Existenz vom freien Fall bedroht ist. Damit wird das Psychogramm eines Menschen entworfen, dessen einzige Behauptung gegen diese Welt darin besteht, sie zu hinterfragen.«
Katja Hellmys, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 7.3.2023

Wenn nicht nur die Visionen in Trümmern liegen »Die Verhältnisse muten so vertraut an: ein Familienleben mit all den Zerwürfnissen und den Arrange-ments um des lieben Scheinfriedens willen ... Der politische Diskurs steht auch im Zentrum von Erich Sidlers Inszenierung.«
Jens Wortmann, Kulturbüro Göttingen 8.3.2023

Theater für Fortgeschrittene »Im Deutschen Theater Göttingen zeigt Erich Sidler eine Inszenierung, die an die Schmerzgrenzen geht. Die Aufführung beeindruckt, berührt, rückt vieles gerade und lässt Raum für eigene Überlegun-gen. Das ist Theater für Fortgeschrittene. Das Bühnenbild von Jörg Kiefel fasziniert … Damit wird das Schauspielern zum Balanceakt ... Mit ›Vor Sonnenaufgang‹ präsentiert Erich Sidler eine Inszenierung, die vom Publikum verlangt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Regisseur und Ensemble ge-lingt es, vielschichtige und glaubwürdige Figuren vorzustellen und auf Richtungsvorgaben bei der Suche nach Orientierung zu verzichten.«
Thomas Kügler, harzerkritiker.blogspot.com 9.3.2023

Menschen in Schieflage »Es gibt keine Requisiten, das Bühnenbild ist auf das Wichtigste, die Personen des Stückes und ihre Darstellung zentriert. Der Inszenierung und den Schauspieler*innen gelingt es hervorragend die Abgründe der bürgerlichen familiären Fassade zu entlarven und deren Beziehungslosigkeit, Vereinsamung und Resignation deutlich zu machen. Ein gesellschaftlicher Bezug zeigt sich auch in der fehlenden Kommunikation, der teilweisen Polarisierung und der dadurch vertanen Chance, tatsächlich in Beziehung zu treten.«
Ina Laengner, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 13.3.2023

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