Drei Verbrechen, begangen auf drei Kontinenten. Drei Verbrechen, verübt aus unterschiedlichen Motiven, vor unterschiedlichen Hintergründen. Drei Verbrechen, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben.
Port St. Lucie, Florida, USA: Eine sterbende Stadt, ein billiges Seniorenparadies, aus dem alle fliehen, die jung sind und noch an ihre Zukunft glauben. Für diejenigen, die noch nicht gehen können, ist jede Abwechslung willkommen. Etwa eine Party, zu der Tyler Hadley seine High-School-Clique einlädt, und an deren Ende eine grausame Entdeckung steht.
Koruyaka Köyü, Türkei, Asien: Nevin Yıldırım wird von einem Mitglied ihrer Familie vergewaltigt. Der Täter behauptet, sie habe ihn verführt und macht sie damit in der patriarchalischen Welt ihres Dorfes zum Freiwild. Von ihrem Umfeld und der Justiz ist keine Hilfe zu erwarten, sodass Nevin die Rache schließlich selbst in die Hand nimmt.
Dinslaken, Deutschland, Europa: Mit dem Strukturwandel sind im Ruhrgebiet nicht nur Arbeitsplätze und Wohlstand verschwunden, es fehlt an gesellschaftlichen Perspektiven. Junge Erwachsene verbringen ihre Zeit in Fußballstadien oder vor Trinkhallen. Einer von ihnen, Nils Donath, beginnt sich in salafistischen Parallelgesellschaften zu bewegen und vollzieht bald darauf einen radikalen Bruch mit der europäischen Kultur.
Enis Macis poetischer Text lenkt den Blick auf die Gemeinsamkeit der drei Verbrechen: Sie fanden vor den Augen der Öffentlichkeit statt. Weniger als die Täter*innen interessiert die Autorin das gesellschaftliche Ökosystem, das ihre Verbrechen erst möglich macht. Welche Schuld laden Mitwisser*innen auf sich? Und wie tragen sie damit zum Entstehen der Wirklichkeit bei, in der wir alle leben?
Pressestimmen
Auf der Suche nach der Schuld »Die fünf Schauspieler meistern die schwierige Aufgabe des kollektiven Sprechens, ihre Bewegungen auf der Bühne sind perfekt choreografiert … ›Mitwisser‹ ist ein klug durchdachtes und experimentelles, aber kurzweiliges Stück, das komplizierte Fragen aufwirft.«
Hanna Sellheim, Göttinger Tageblatt 27.2.2023
Terror aus dem Nicht-Ort »Mit ihrem Stück ›Mitwisser‹ gelingt es der Dramatikerin Enis Maci die Anti-Welt des Chatrooms auf die Bühne zu holen – als Ort der Radikalisierung … Große Teile ihrer Sprachkomposition sind sehr geschickt für fünf Stimmen eines Bürgerchores instrumentalisiert, aus dem sich Soli des Fragens, Verhörens, Analysierens, Gewichtens, Anklagens erheben … Die offene Frage des Stücks beantwortet das Ensemble. Es spielt offensiv das Publikum an und will es wohl als global vernetzte Mitwisser ins Schuldbewusstsein für eine verrohende Welt holen. Was den Abend reizvoll ungemütlich macht.«
Jens Fischer, taz Online 13.4.2023
Mit antikem Chor in die Moderne »Nur durch Überwerfen einer bunten Jacke oder durch das Hineinschlüpfen in eine Hose schlüpfen die Schauspielerinnen und Schauspieler in die gefragten Rollen, können kurze Szenen, wie zum Beispiel eine Zeugenaussage im Gerichtssaal, überzeugend lebendig werden lassen ... Mit Gaby Dey, Daniel Mühe, Katharina Pittelkow, Nathalie Thiede und Gerd Zinck ist der Regisseurin Selina Girschweiler mit Musik von Benedikt ter Braak der Spagat zwischen dem schnellen, sprunghaften Vorgehen in der medialen Welt und der analogen Kunstform Theater mit Rückblicken in die Antike gelungen ... Insgesamt ist ›Mitwisser‹ ein gelungener Abend, der allerdings nicht nur unterhaltend, sondern vor allem sehr fordernd ist. Mit langem Applaus belohnte das Publikum die Leistung.«
Ute Lawrenz, hna-online 27.2.2023
Sind wir nicht alle ein bisschen Täter*in »Die schauspielerische Leistung ist wie gewohnt auf dem höchsten Niveau: das häufige kantenfreie Wechseln der Rollen, das synchrone Sprechen (auch zu fünft), die drei Einzeltäter*innen wirken trotz der Vernachlässigung des emotionalen Fokus plastisch! Die Bühnengestaltung (Mara Zechendorff) unterstützt sehr subtil und doch eindrucksvoll die Handlung. Man bekommt das Gefühl von einer Szene in die nächste übergangslos geworfen zu werden ... Es bleibt wenig Zeit sich mit den gegebenen Impulsen auseinanderzusetzen und emotional darauf einzugehen, wobei die Taten an sich mehr als abscheulich sind ... Das Nachdenken über das gleiche Mitwissen und Wegschauen auf der ganzen Welt, was nicht nur mit den unterschiedlichen Orten der Geschehnisse, sondern auch durch das Vorlesen der Internetkommentare symbolisiert wird … Es gibt viel mehr Mitwissende. Doch ändert es etwas an den zu Grunde liegenden Mechanismen? Oder verstärkt es sie doch nur?«
Eugen Dahn, Scharfer Blick/Kritier*innenclub 22.3.2023