Natascha, 40 Jahre alt, Autorin, interviewt in einem Kiewer Café einen Soldaten, der im Donbas gegen Separatisten kämpft, und ihr anbietet, sie mit an die Front zu nehmen. Sie entscheidet sich, auf dieses Angebot einzugehen. Schon am Beginn der Fahrt muss sie sich eingestehen, dass sie sich in diesen fremden Kämpfer verliebt hat. Und je weiter sich die beiden von Kiew entfernen, je länger er von seinen Erlebnissen im Kampf um den Flughafen von Donezk erzählt, desto mehr taucht sie ein in eine Männerwelt, in der nur noch rudimentäre Spuren von Zivilisation zu finden sind. Ihre Recherchereise ist Albtraum und Liebesgeschichte zugleich und sie weiß, dass beides enden wird, wenn sie das Kriegsgebiet wieder verlässt.
Natalia Vorozhbyts Szenenfolge »Zerstörte Straßen« beschreibt in eindrucksvollen Bildern, wie der Krieg die Zivilgesellschaft aushöhlt, welche Auswirkungen die permanente Anwesenheit von Bedrohung und Gewalt, der tägliche Kampf ums Überleben auf das Zusammenleben hat. Wenn sich der dünne Firnis der Zivilisation auflöst, brechen schnell archaische, längst überwunden geglaubte Rollenbilder zwischen den Geschlechtern wieder hervor. Es dauert nicht lange, bis der Krieg auch in den intimsten Bereichen des Lebens Verwüstungen hinterlässt.
Pressestimmen
Roadmovie in die menschlichen Abgründe »Das Stück handelt vom Krieg in der Ukraine und vor allem davon, was Krieg mit den Menschen macht. Brutalität, Sex, Macht und Tod – kein leichtes Stück … Die Bühne ist dunkel, spärlich beleuchtet. Mittendrin steht ein eindrucksvolles, schwarzes Gebilde, das aus meterlangen, aufragenden, gebogenen Balken besteht – wie das Skelett eines Mammuts, das aus dem Permafrostboden auftaucht. Es ist Keller, Straße, Bauernhof und Fahrzeug zugleich. Mehr als Nebel, weißes und gelbes Licht benötigt das Stück nicht. Allein dieses Bühnenbild (Karoline Bierner) ist schon sehenswert … Die großartigen Schauspieler zeigen die Facetten des Leids zwischen Sex, Angst, Abscheu und Begierde ... ›Zerstörte Straßen‹ ist auch ein Roadmovie durch die menschlichen Abgründe, die ein Krieg aus der Tiefe der menschlichen Seele ans Tageslicht fördert. Als das Licht im Theatersaal angeht, braucht das Publikum ein wenig Zeit zum Durchatmen, bis der verdiente Applaus einsetzt. Es ist ein stark gespieltes, intensives und verstörendes Stück – mit einem großartigen Bühnenbild.«
Britta Bielefeld, Göttinger Tageblatt 11.12.2022
Dieser Scheißkrieg »In Göttingen lässt Regisseur Niklas Ritter sich zum Glück nicht verleiten, der sprachlichen Drastik auch drastische Bilder hinzuzufügen. Größtenteils ist es der Text, der nicht vom Krieg, sondern von der Unmöglichkeit des Alltags und der Menschlichkeit im Krieg erzählt. Vieles wird nur erzählt, manches gespielt, aber die reduzierte Bühne und die zurückgenommenen Kostüme bieten den Geschichten – vielleicht muss man sogar sagen: der Zeugenschaft – von Natalia Vorozbhyt viel Raum, um mit Wucht in den Theatersaal zu knallen. Gegen den Krieg hilft das nicht. Aber vielleicht der Menschlichkeit.«
Jan Fischer, nachtkritik.de 11.12.2022
Der Krieg hält Einzug auf der Bühne »Die Inszenierung von Niklas Ritter macht spürbar, wie der Krieg mit all seiner Grausamkeit vordringt bis in die Zuschauerreihen … Hier sind Grenzen des guten Geschmacks überschritten, mag erst denken, wer im Theater sitzt. Doch wird im Krieg gefragt, was guter Geschmack ist? Das ›Nein‹ macht dieser Abend erschreckend deutlich. Auf jeden Fall ansehen … Langer Applaus für die große Leistung.«
Ute Lawrenz, HNA 12.12.2022
Die Hölle, das sind Unsere »Bezeichnend ist, dass sich die gesamte Handlung auf der ukrainischen Seite des Konfliktes abspielt. Es sind ›unsere Männer‹, die den Schrecken in die Leben der Zivilisten hineintragen, nicht ›der Feind‹. Vorlage und Ensemble tragen diesen Schrecken mit einer Intensität weiter auf die Bühne und in den Zuschauerraum, die jegliche Romantisierung oder voyeuristische Betrachtung des Krieges mit Verachtung straft. Eine in Anbetracht des den Ukrainekonflikt umgebenden, fast enthusiastischen gesellschaftlichen Klimas in Deutschland sehr wichtige, mutige und damit meiner Meinung nach die beste Inszenierung dieses Jahr.«
Jan Wernicke, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 28.12.2022
Das Huuuhn 😭 »Die Inszenierung zwingt uns, zu ›verstehen‹, was Krieg bedeutet. Krieg ist nicht (nur) etwas, wo anonyme Soldaten hingeschickt werden. Es betrifft jede*n Einzelne*n. Stößt bis in die intimsten Winkel des Lebens vor ... Die Inszenierung ist absolut sehenswert. Niklas Ritter gelingt es, die perfekte Balance zwischen dem, was gezeigt werden muss und dem was auszuhalten ist zu finden und lässt Szenen genau an der Stelle ab- bzw. unterbrechen, wenn man sich innerlich darauf vorbereitet hat, laut zu schreien, weil man es nicht mehr aushält.«
Ronja Kirschke, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 15.3.2023