Ins Netz gegangen 25.1.2025

Das deutsche Haus

WG-Komödie von Philipp Löhle

Uraufführung

Götz Drescher Gabriel von Berlepsch / Alice Weber Judith Strößenreuter / Björn Kappel Andrea Strube / Tino Grossmann Daniel Mühe / Lukas Adler Christoph Türkay / Pauline, Dr. Reinfeld, Putzfrau Tara Helena Weiß / Stauffacher Tilla Jeßing

 

Regie Philipp Löhle / Bühne und Kostüme Thomas Rump / Mitarbeit Bühne und Kostüme Nathalie Noël / Musik Michael Frei, Philipp Löhle / Kampfchoreografie Christian Ewald / Dramaturgie Sonja Bachmann / Regieassistenz Sarah Maroulis, Florian Elias Ott / Soufflage Julia Schröder / Inspizienz Bénédicte Gourrin

 

Technische Leitung Marcus Weide / Produktions- und Werkstattleitung Lisa Marlen Hartling / Assistent der Technischen Leitung Henryk Streege / Technische Einrichtung Thomas Tessenow / Beleuchtung Markus Piccio / Tontechnik Julian Wedekind (Leitung), Mathis Albrecht (Einrichtung) / Maske Frauke Schrader (Leitung, Einrichtung), Johanna Maria Pfitzner (Einrichtung), Renée Donnerstag (Einrichtung) / Requisite Sabine Jahn (Leitung), Patricia Opitz (Einrichtung) / Kostümausführung Ilka Kops (Leitung), Heidi Hampe, Stefanie Scholz / Malsaal Eike Hansen / Schlosserei Robin Senger / Dekoration Regina Nause, Axel Ristau / Tischlerei Maren Blunk

 

Aufführungsdauer

ca. 1 Stunde, 45 Minuten

keine Pause

 

Aufführungsrechte

Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin

 

Probenfotos Thomas Müller

 

Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet.

Hinter verschlossenen Türen …

… passiert so einiges. Man denke an das Jagdschloss Bad Lobenstein, das Landhotel Adlon nahe Potsdam oder ein scheinbar normales Wohnhaus in einer Stadt oder auch an ein Schloss am Rand einer einsamen Landstraße. Es könnte angenehmen gruselig sein, wenn man sich sicher in seinem Sessel zurücklehnen könnte angesichts eines gängigen Horror- oder Gruselfilmsettings. Doch hier, hinter den Türen vom deutschen Haus, passieren andere, viel bedrohlichere Dinge, die die Freiheit und die Menschenrechte, das Denken und die Demokratie, das Mündigsein und die Konsensfähigkeit gefährden. Was als komödiantische WG beginnt, kann auch ganz anders enden.

Kann man das für ausgedachten Quatsch halten? Zu den Mechanismen des Faschismus, über die Attraktivität der AfD für junge Männer und die Ziele korporationsstudentischer Erziehung können Sie hier drei Texte lesen:

Mechanismen des Faschismus

Die Mechanismen der faschistischen Politik bauen allesamt aufeinander auf und stützen sich gegenseitig. Sie weben den Mythos einer klaren Trennung zwischen »uns« und »ihnen«. Dieser beruht auf einer romantisierten, fiktiven Vergangenheit, in der »sie« nicht vorkommen, und wird durch den Groll auf eine vermeintlich korrupte liberale Elite gestützt, die sich unser hart erarbeitetes Geld nimmt und unsere Traditionen bedroht. »Sie« sind faule Kriminelle, die mit der Freiheit nichts anzufangen wissen (und die sie ohnehin nicht verdienen). »Sie« maskieren ihre zerstörerischen Ziele mit der Sprache des Liberalismus oder der »sozialen Gerechtigkeit« und sind darauf aus, »uns« schwach zu machen, indem sie unsere Kultur und Traditionen zerstören. »Wir« sind fleißig, gesetzestreu und haben uns unsere Freiheiten durch Arbeit redlich verdient; »sie« sind arbeitsscheu, pervers, korrupt und dekadent. Faschistische Politik operiert mit Wahnvorstellungen, die diese Art von falschen Unterscheidungen zwischen »uns« und »ihnen« zu allererst schaffen, ungeachtet der offensichtlichen Realitäten. (…)

Die Gefahr einer Normalisierung des faschistischen Mythos besteht. Es ist verlockend, »normal« für unbedenklich zu halten – wenn die Dinge normal sind, gibt es schließlich keinen Grund zur Sorge. Jedoch belegen sowohl die Geschichte als auch die Psychologie, dass man unseren Urteilen diesbezüglich nicht immer trauen kann. In »Part Statistical, Part Evaluative« (»Teils statistisch, teils wertend«) – einer 2017 in der Zeitschrift Cognition erschienenen Arbeit – zeigen der Yale-Philosoph Joshua Knobe und sein Psychologie-Kollege Adam Bear von der gleichen Universität, dass Einschätzungen zur Normalität sowohl von dem beeinflusst werden, was die Menschen für statistisch unauffällig halten, als auch von dem, was sie als ideal, also als gesund und angemessen empfinden (zum Beispiel die Anzahl der Stunden, die sie pro Tag fernsehen). In einem Artikel für die New York Times (Sunday Review) wenden sie ihre Schlussfolgerungen auf unsere Urteile über die Gesellschaft an und stellen fest, dass Trumps Verhalten – insbesondere Taten und Reden, die früher als merkwürdig galten – reale und beunruhigende Konsequenzen hat: »Diese Handlungen werden nicht nur zunehmend als typisch angesehen, sondern auch als normal. Infolgedessen werden sie als weniger schlecht und damit weniger empörend betrachtet.« Knobe und Bears Arbeit liefert eine Erklärung für ein Phänomen, das diejenigen, die den Übergang von der Demokratie zum Faschismus miterlebt haben, regelmäßig aus eigener Erfahrung und mit großer Besorgnis betonen: die Tendenz von Bevölkerungen, das vormals Undenkbare zu normalisieren. (…)

Schon zu meinen Lebzeiten haben wir mit der rasanten Entwicklung rassistisch motivierter Masseninhaftierungen eine Normalisierung extremer Politik erfahren. Zuletzt sind Amokläufe in den Vereinigten Staaten auf traurige Weise Alltag geworden. Ungarn, Polen und Italien stellen anschauliche Beispiele für die rapide Machtübernahme des Faschismus dar. Derzeit erleben wir, wie Regierungen weltweit die brutale Behandlung von Flüchtlingen und Arbeitern ohne Papiere zur gängigen Praxis erklären. In den USA hat Donald Trumps verschärfter Feldzug gegen die Einwanderung dazu geführt, dass zahllose Menschen in anonyme, privat geführte Internierungslager verbracht und vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt gehalten werden.

 

Mit der Normalisierung wird das moralisch Außergewöhnliche in das Gewöhnliche verwandelt. Sie versetzt uns in die Lage, das zu tolerieren, was einst unerträglich war, indem sie den Anschein erweckt, dass die Dinge schon immer so gewesen sind. (…)

Die faschistische Politik lockt ihr Publikum mit dem Versprechen der Freiheit von demokratischen Normen und verschleiert dabei die Tatsache, dass die vorgeschlagene Alternative weder eine Form der Freiheit ist, die einen Staat trägt, noch eine solche, die die individuellen Rechte ihrer Bürger zu garantieren vermag. Ein ethnischer, religiöser oder nationaler Konflikt zwischen »uns« und »ihnen« kann schwerlich auf Dauer stabil bleiben. Und selbst wenn der Faschismus dazu in der Lage wäre, einen Staat aufrechtzuerhalten – würde es sich dabei um eine vernünftige politische Gemeinschaft handeln, ein anständiges Land, in dem unser Nachwuchs zu einfühlsamen Menschen heranwächst? Sicherlich ist es möglich, Kindern das Hassen beizubringen, aber als eine Komponente der Sozialisation hätte dies unabsehbare Folgen. Sollte man ernsthaft wollen, dass das Selbstverständnis der nächsten Generation auf dem Gedanken der Ausgrenzung anderer beruht?

In Anbetracht des unausweichlich voranschreitenden Klimawandels und seiner Auswirkungen, der oben beschriebenen politischen und sozialen Instabilität unserer Zeit sowie der Spannungen und Konflikte, die mit der zunehmenden globalen wirtschaftlichen Ungleichheit einhergehen, sehen wir uns in Kürze mit grenzüberschreitenden Bewegungen benachteiligter Menschen konfrontiert, die diejenigen früherer Epochen – wenn man von den Flüchtlingsbewegungen im Zweiten Weltkrieg absieht – in den Schatten stellen werden. Traumatisierte, verarmte und hilfsbedürftige Flüchtlinge, einschließlich legaler Einwanderer, werden von Anführern und Bewegungen, die sich der Aufrechterhaltung hierarchischer Gruppenprivilegien und faschistischer Politik verschrieben haben, so hingebogen, dass sie rassistischen Stereotypen entsprechen. Zahlreiche umsichtige Bürger auf der ganzen Welt glauben, dass dieser Prozess bereits im Gange ist. Unter faschistischer Regie wird die Geschichte der Flüchtlinge – das Leben in Lagern, die angst- und konfliktgetriebene Reise dorthin, die Hoffnungslosigkeit, die mit einem längeren Aufenthalt einhergeht – als Quelle von Terrorismus und Gefahr gezeichnet, statt Empathie zu erzeugen. Um sicherere Existenzbedingungen zu finden, müssen diese Menschen unsägliche Schrecken durchstehen. Dass selbst sie noch als fundamentale Bedrohung dargestellt werden können, zeugt von der irreführenden Macht des faschistischen Mythos. (…)

Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind enorm. Wie sollen wir unsere Menschlichkeit bewahren, wenn Angst und Unsicherheit uns auf der vergeblichen Suche nach einem kleinen Rest Selbstwertgefühl in die tröstenden Arme mythischer Überlegenheit treiben? Die Gegenwart steht vor quälenden Fragen. Gleichwohl können wir uns mit der Geschichte fortschrittlicher sozialer Bewegungen trösten, denen es in der Vergangenheit trotz anhaltenden Widrigkeiten und harter Kämpfe gelungen ist, Empathie zu wecken.

 

An den unmittelbaren Angriffspunkten der faschistischen Politik – Flüchtlinge, Feminismus, Gewerkschaften, ethnische, religi­öse und sexuelle Minderheiten – lassen sich die Methoden ablesen, mit denen sie uns spalten wollen. Dabei dürfen wir jedoch nie vergessen, dass das Hauptziel der faschistischen Politik ihr Publikum ist; das heißt diejenigen, die sie in ihren trügerischen Bann ziehen und in einen Staat einbinden will, in dem jede Person, der noch Menschenwürde zugesprochen wird, in zunehmendem Maße an einem Massenwahn leidet. Diejenigen, die nicht zu diesem Publikum gehören und denen ein solcher Status verwehrt bleibt, warten in den Lagern der Welt als Strohmänner und -frauen darauf, in die Rolle von Vergewaltigern, Mördern und Terroristen gedrängt zu werden. Indem wir uns weigern, uns von faschistischen Mythen betören zu lassen, bleiben wir frei, uns aufeinander einzulassen, jeder von uns mit seinen Fehlern, seinem unvollkommenen Verstand, Erfahrungsschatz und Wissen – aber wir sind keine Teufel.

 

aus: Jason Stanley: Wie Faschismus funktioniert, Neu-Isenburg 2024 (2. Auflage)

Attraktiv für junge Männer

Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben um die 30 Prozent der 16- bis 24-Jährigen die AfD gewählt und so dazu beigetragen, dass die AfD zur stärksten Partei in Ostdeutschland geworden ist. (…) Das Neue und die Erfolgsspur der AfD liegt im Angebot ihres »autoritären Nationalradikalismus«.

 

Das »Autoritäre« zielt auf das angebotene Gesellschaftsmodell. Der Fokus liegt auf der Wiederbelebung traditioneller Kultur und Lebensweise, Frauen- und Familienbilder, traditioneller Hierarchien. Dazu gehört das Versprechen ethnischer Homogenität und der Ausgrenzung kultureller und sexueller Vielfalt. Der autoritäre Staat wird mit der Ausweitung von Kontrolle und Strafverschärfungen aufgerufen. Das »Nationale« in der explizit nationalistischen Ausprägung betont die Überlegenheitsattitüde deutscher Kultur. Sie drückt sich als rabiate Identitätspolitik aus.

Das »Deutsch-Sein« wird zum Identitätsanker in Krisenzeiten. Zur Neudeutung deutscher Geschichte gehört die Feier von Nationalstolz und die Relativierung der NS-Verbrechen. Wirtschafts- und sozialpolitisch wird die Formel »Deutsche zuerst« propagiert. Außenpolitisch gehört zur nationalistischen Ausrichtung die angestrebte Nähe zu »starken«, also autoritär-nationalistischen Regimen. Das »Radikale« zeigt sich in den aggressiven Kommunikations- und Mobilisierungsstilen, die durchgängig mit Feindbildern und »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« besetzt sind, um der rabiaten Propagierung einer ethnischen Homogenität der »echten Deutschen« zu dienen.

 

Wie lässt sich vor diesem Hintergrund der Wahlerfolg der AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern erklären? Wenn sich insbesondere junge Männer von dieser Partei angesprochen fühlen, liegt das auch daran, dass das autoritäre, nationalistische und radikale Angebot der AfD idealtypisch einem Habitus entspricht, der sich durch Stärke, Dominanz und Überlegenheit definiert. Dieser Habitus wird umso attraktiver, je stärker Unterlegenheitsgefühle und Verunsicherungen spürbar werden.

Wenn junge Frauen zum Beispiel bessere Noten, Abschlüsse und berufliche Perspektiven haben, kann das von jungen Männern mit schlechteren Perspektiven als Zurücksetzung und Verunsicherung erlebt werden. Auch die sozialgeografischen Strukturen in Ostdeutschland mit der Dominanz von kleinen Gemeinden und Kleinstädten, mit der erheblichen Abwanderung gut ausgebildeter Frauen, zumal aus strukturschwachen Gebieten, sind günstig für die AfD. Dadurch verändert sich unter anderem die zahlenmäßigen Verhältnisse junger Frauen und Männer, mit Folgen für die männlichen Bekanntschafts-, Liebes- und Eheverhältnisse. Selbst an solchen Stellen setzt die Attraktivität des autoritären Nationalradikalismus an. Prototypisch dafür sind die Social-Media-Videos des AfD-Ex-Spitzenmanns Maximilian Krah: »Echte Männer sind rechts – dann klappt das auch mit der Freundin«, so seine politische Ermunterung verunsicherter junger Männer.

 

aus: Jung, rechts, männlich sucht. Die AfD ist vor allem bei jungen Leuten so beliebt. Warum? Ein soziologischer Erklärungsversuch von Wilhelm Heitmeyer, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 227 vom 1. Oktober 2024, S. 9.

Ziele korporationsstudentischer Erziehung

»Hier werden Nachfolger aufgebaut, Geld und Einfluß geltend gemacht, Helfer und Verbündete unterstützt und beharrlich Männer für Machtpositionen selektiert.«1 Je wichtiger die gesellschaftliche Position, desto eher ist diese mit einem Mann aus dem Milieu des gehobenen und (konservativ eingestellten) Bürgertums besetzt.2 Die westlichen Industrienationen haben im Laufe ihrer Entwicklung für diese gesellschaftlich-soziale Selektion unterschiedliche Systeme entwickelt, allerdings mit sehr ähnlichen Ergebnissen: Sie weisen hinter einer formellen Chancengleichheit in Bezug auf das Geschlecht und die soziale Herkunft eine Selektion durch eine systematisch angelegte, informelle »Erziehung« zur Schaffung eines für die männliche Protektion günstigen »Corpsgeistes« auf. In den USA ist hierfür das System der Eliteuniversitäten bekannt, in Frankreich sind es die Grandes Ecoles. In Deutschland (auch in Österreich und in der Schweiz), wo es kein vergleichbares offizielles Elitesystem gibt, übernehmen unter anderem studentische Korporationen diese Aufgabe. Am Beispiel der Corps3 soll dies verdeutlicht werden: Die Corps des Kösener Senioren-Conventes (KSCV) und des Weinheimer Senioren-Conventes (WSC), sie stellen mit zusammen ca. 24.000 Mitgliedern (Alte Herren und Aktive) heute etwa 15 Prozent der Korporierten4, können hinsichtlich ihrer Elitebildung und Reproduktion zum Teil auf eine circa 200-jährige Tradition zurückblicken. Die ersten Gründungen seit dem Jahre 1789 – sie richteten sich direkt gegen die Ideen der Französischen Revolution – hatten mit den heute bekannten Corps wenig gemein. Sie waren zunächst reine Standesvertretungen an der Universität. Erst nach 1871 entwickelten sich die Corps und auch andere Korporationen rasch zu überregionalen und generationsübergreifenden Verbänden (Lebensbund) mit organisierten Altherrenschaften. Durchhierarchisierung der Corps nach einem Befehl- und Gehorsamssystem (Fux, Bursche, Alter Herr), Erziehung zum Mann als Zweck des Männerbundes und Zielsetzung im elitären Streben waren die Folge. Mit Erfolg: 1893 saßen 45 Corpsstudenten (11 Prozent der Abgeordneten) im Reichstag, vorwiegend in den konservativen Parteien zu finden. Die Chefs der Reichskanzlei waren seit 1871 fast ausnahmslos Corpsstudenten, hinzu kommen zahlreiche Corpsstudenten in den führenden Positionen der Ministerien, Präsidenten des Reichs- und der Landtage.5 Namen wie Otto Fürst von Bismarck, Wilhelm II., Adolf Stoecker, Paul von Hindenburg, Friedrich Bayer, Fritz Henkel, Gottlieb Daimler, Emil von Behring, Justus Freiherr von Liebig sowie Aloys Alzheimer bezeugen das Gelingen des corpsstudentischen elitären Strebens.6 Sowohl an den corpsstudentischen Zweck- und Zielsetzungen und den innerorganisatorischen Reglementierungen als auch an dem Erfolg hat sich bis heute – wenn auch mit Verschiebung im gesellschaftlichen Feld – wenig geändert: Namen von Mitgliedern wie Hanns-Eberhard Schleyer, Edzard Schmidt-Jorzig, Manfred Kanther, Horst Weyrauch, Henning Schulte-Noelle, Jürgen Großmann weisen darauf hin. (…)

Die Zielrichtung der corpsstudentischen Erziehung richtet sich einerseits gegen die Personen eines anderen Milieus (»weniger würdigen« Personen) und andererseits direkt gegen die Frauen, denen sich der Corpsstudent als Mann »höherwertig« fühlt. In dem korporationsstudentischen System geht es um die Konstruktion einer »guten Gesellschaft«, um das Herstellen einer Gruppe von »Gleichen unter Gleichen«, die sich – ausgestattet mit dem für sie allzeit erkennbaren, besonderen korporierten Habitus – gegenseitig helfen und protegieren, wobei sie vom korporierten Gegenüber nicht einmal unbedingt wissen müssen, dass derjenige Korporierter ist. Man spricht die gleiche Sprache und vertraut einander aufgrund des gleichen Habitus.7

Michael Hartmann beschreibt das für den Habitus des gehobenen Bürgertums so: »Das Gefühl, auf einer ›gemeinsamen Wellenlänge‹ zu kommunizieren ist […] außerordentlich wichtig. Es schafft die Basis für das gegenseitige Vertrauen auch in geschäftlichen Dingen.«8 Somit wird auch deutlich, warum es bei der Besetzung höherer und höchster Positionen nicht nur um das Einstellungskriterium der »Leistung« der beruflichen Qualifikation der Kandidaten geht, sondern um das habituelle »Plus«, das einschließt, ob der Kandidat ein unter Männern »gegebenes Wort«9 auch unter allen Umständen zu halten in der Lage ist (wie man es mittels der »Ehre« in der Korporation zum Beispiel durch die Mensur »einpaukt«). Das ist das Feld der Korporationen und insbesondere der Corps10, die in ihrer Gemeinschaft dafür Sorge tragen, dass neben der »Herkunft und Gesinnung« auch Folgendes gewährleistet ist: Dass man im Corpsstudenten, also dem Korporierten, einen gleichdenkenden Mitarbeiter findet, der zudem für das gehobene bürgerlich-konservative Milieu innerhalb der gesamten Gesellschaft eine Verstärkung, ein Zugewinn zu sein verspricht (Reproduktion der konservativen Wertvorstellungen und Handlungsanweisungen).

Es kann demnach im Ergebnis festgehalten werden, dass die studentischen Korporationen, insbesondere die konservativ eingestellten Corps, einen milieuspezifischen Elitarismus pflegen, den sie als Männerbund sexistisch legitimieren, als solcher ihre Mitglieder einem ausgeprägten hierarchischen Befehls- und Gehorsamssystem unterwerfen und zahlreichen, ideologisch verdichteten Rituale unterziehen, wodurch sie die autoritären Strebungen in der individuellen Persönlichkeit verstärken. Im Sozialisationsverlauf erfolgt eine Vergemeinschaftung als Mannwerdung (Sexismus) und eine Vergesellschaftung als Elitestreben (Elitarismus), die die autoritären Strebungen des einzelnen Mitglieds verstärken (Autoritarismus). Die Corps sind unter Einbeziehung des eigenen gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses als eine gesellschaftliche Form des (männlich-elitären) autoritären Korporatismus zu werten.

1 Raewyn Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit, Opladen 1999, S. 226.

2 Michael Hartmann: Klassenspezifischer Habitus oder exklusive Bildungstitel als Selektionskriterium? Die Besetzung von Spitzenpositionen in der Wirtschaft, in: Beate Krais (Hg.): An der Spitze. Von Eliten und herrschenden Klassen, Konstanz 2001, S. 161ff.

3 Die Corps – neben den später (1815) entstandenen Burschenschaften – sind hinsichtlich des Brauchtums und der Protektion wohl die bekannteste Gruppe studentischer Korporationen und die entwicklungshistorische »Urwurzel« des heutigen Verbindungslebens. Vgl. Stephan Peters: Elite sein. Wie und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Korporation? Marburg 2004, S. 58ff.

4 Convent Deutscher Korporationsverbände/Convent Deutscher Akademieverbände (Hg.): Vielfalt und Einheit der deutschen Korporationsverbände, o.O. 1998, S. 239.

5 Manfred Studier: Der Corpsstudent als Idealbild der Wilhelminischen Ära. Untersuchungen zum Zeitgeist 1888 bis 1914, Schernfeld 1990, S. 130.

6 Auch in Sachen Antisemitismus waren die Corps nicht nur personell (Stoecker), sondern auch geistige Elite. So beschloss der KSCV 1921 den Ausschluss der Juden (erstmals beantragt 1877, beschlossen 1920) um einen »Mischlingspassus« zu erweitern, der der Definition der 1935 beschlossenen »Nürnberger Rassegesetze« entsprach. Vgl. Helmut Neuhaus: Die Konstitution des Corps Teutonia, Marburg 1979, S. 65.

7 Vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 26. März 2000, Äußerungen von Edzard Schmidt-Jorzig oder auch Eberhard Diepgen.

8 Michael Hartmann, S. 161ff.

9 Vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 26. März 2000, Äußerungen von Edzard Schmidt-Jorzig oder auch Eberhard Diepgen.

10 Michael Hartmann, S. 161ff.

 

aus: Stephan Peters: Elite sein – Ziel korporationsstudentischer Erziehung, in: Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät (Hg.): Studentenverbindungen gestern und heute. Kritische Perspektiven auf Korporationen in Göttingen und Deutschland, Göttingen 2017