Ins Netz gegangen 27.1.2024
Der große Gatsby
Eine Vaudeville-Show nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald
Übersetzung von Hans-Christian Oeser
Fassung von Katharina Ramser
Musikauswahl von Michael Frei
Jay Gatsby Daniel Mühe / Nick Carraway Moritz Schulze / Daisy Buchanan Lou von Gündell / Tom Buchanan Christoph Türkay / Jordan Baker, Mrs McKee Nathalie Tiede / Myrtle Wilson, Partygästin Tara Helena Weiß / George Wilson, Partygast Roman Majewski / Mr. Wolfshiem, Mr. McKee, Partygast Volker Muthmann / Tänzer*innen Germán Hipolito Farias, Pawel Malicki, Mar Sanchez Cisneros, Michael Tucker
Alexander’s Ragtime Band // Violine Hans-Henning Vater /
Klavier Hans Kaul / Saxophon, Klarinette Rolf Rasch, Kerstin Röhn, Anton Säckl / Trompete Thomas Müller / Posaune, Tuba Detlef Landeck / Gitarre Michael Frei / Bass Rolf Denecke / Schlagzeug Sven von Samson
Technische Leitung Marcus Weide / Produktions- und
Werkstattleitung Lisa Hartling / Technische Einrichtung Marco Wendt / Beleuchtung Michael Lebensieg / Ton- und Videotechnik Julian Wedekind (Leitung), Mathis Albrecht, Frank Polomsky, Bernd Schumann (Einrichtung) / Requisite Sabine Jahn (Leitung), Johannes Frei (Einrichtung) / Maske Frauke Schrader (Leitung), Axel Duwe (Einrichtung), Maika Lenga (Einrichtung), Charleen Middendorf-Tinney (Einrichtung) / Kostümausführung Ilka Kops (Leitung), Heidi Hampe, Stefanie Scholz / Malsaal Eike Hansen / Schlosserei Rainer Dolina, Robin Senger / Dekoration Axel Ristau / Tischlerei Maren Blunk
Aufführungsdauer ca. 2 Stunden, 30 Minuten, eine Pause
Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung
nicht gestattet.
Rechte der Übersetzung bei Philipp Reclam jun., Ditzingen
Probenfotos Thomas M. Jauk
Der Inhalt
Anfang der Zwanziger Jahre ist Nick Carraway nach New York gekommen, um eine Karriere an der Wallstreet zu starten. Er mietet einen schäbigen Bungalow auf Long Island, der unmittelbar neben dem prunkvollen Anwesen Jay Gatsbys liegt. Auf dessen glamourösen Partys trifft sich am Wochenende New Yorks Society. Nick besucht seine Cousine Daisy, die auf der anderen Seite der Bucht mit ihrem Ehemann Tom Buchanan, einem reichen Ex-Polospieler lebt, und lernt dort die erfolgreiche Golferin Jordan kennen. Kurz darauf erhält Nick eine Einladung für die nächste Party seines Nachbarn Gatsby, der sich um dessen Freundschaft bemüht. Nicht ohne Hintergedanken, wie sich schnell herausstellt: Gatsby bittet ihn, einen Kontakt zu Daisy herzustellen, mit der ihn eine durch den Ersten Weltkrieg unterbrochene Liebesgeschichte verbindet. Bei der der Wiederbegegnung verliebt sich Daisy, die in ihrer Ehe mit Tom unglücklich ist, erneut in Gatsby. Tom, der eine Affäre mit Myrtle, der Frau eines Automechanikers hat, ist überrascht und versucht, den plötzlich aufgetauchten Nebenbuhler zu diskreditieren. In einem Hotel in New York eskaliert der Konflikt, Daisy bekennt sich nicht eindeutig zu Gatsby. Auf der Rückfahrt verursacht sie einen folgenschweren Unfall.
Ausgeträumt
Als Nick Carraway im Frühjahr 1922 nach New York kommt, liegt das Ende des Ersten Weltkriegs, in dem er für die amerikanische Armee in Europa gekämpft hat, knapp dreieinhalb Jahre zurück. Was genau der Erzählerfigur seines Romans »Der große Gatsby« auf den Schlachtfeldern des alten Kontinents und nach seiner Heimkehr widerfahren ist, lässt F. Scott Fitzgerald im Dunkeln. Immerhin macht das Erlebte offenbar eine Rückkehr in sein altes Leben unmöglich. »Der Gegenangriff hatte mich mit solcher Begeisterung erfüllt, dass ich nach meiner Rückkehr keine Ruhe fand. Der Mittelwesten, früher der warme Mittelpunkt der Welt, kam mir nun wie der äußerste, zerklüftete Rand des Universums vor, und so beschloss ich, an die Ostküste zu ziehen und das Börsengeschäft zu erlernen. So gut wie alle, die ich kannte, waren im Börsengeschäft tätig, deswegen nahm ich an, dass es leicht noch einen weiteren Mann ernähren konnte«.
Die amerikanische Wirtschaft, vor allem auf kriegsnotwendige Produktion fokussiert, erlebte mit Kriegsende einen Einbruch, von dem sie sich aber, dank der Entwicklung innovativer Konsumgüter schnell erholte. Radio und Automobil waren das Produkt der Stunde und konnten dank neuer Fertigungsstrategien so günstig hergestellt werden, dass sie für den Normalbürger erschwinglich wurden. Bis zum 25. Oktober 1929, dem legendären Schwarzen Freitag, zeigte sich der Kapitalismus von seiner schönsten Seite: Der Konsum schaffte Arbeitsplätze, neuen Wohlstand und einen breiten Mittelstand in der Gesellschaft. Der American Way of Life war geboren und funkelte verheißungsvoll über den großen Teich ins alte Europa. Die Helden des neuen Konsumzeitalters waren die Werbeagenturen und die Salesmen, die mit nahezu religiöser Inbrunst alles an die Kundin und den Kunden brachten, was sich irgendwie vermarkten ließ. Ihr Nimbus hielt stand, bis ihn Arthur Miller 1949 mit seinem Drama »Death of a Salesman« endgültig zu Grabe trug.
Nach den Mühen des Ersten Weltkriegs standen die Zeichen auf Amüsement und die prosperierenden Märkte gaben genügend Anlass, die Erfolge zu feiern, die man im Business erreichte. Die Metropolen, allen voran New York, waren die pulsierenden und flirrenden Hotspots einer nimmer enden wollenden Party, befeuert von den heißen Rhythmen des Jazz‘, jener aufregenden Musik aus den Südstaaten, die durch das neue Medium Radio plötzlich im ganzen Land, und damit auch in der Welt der Weißen, populär wurde und mit ihrem unverwechselbaren Sound den Aufbruch in die Moderne begleitete.
Der Champagner floss in Strömen, obwohl das Land seit Januar 1920 offiziell trocken gelegt war. Ein Verfassungszusatz verbot ab diesem Zeitpunkt die Herstellung, den Transport und den Vertrieb alkoholischer Getränke. Zwischen Ratifizierung und Inkrafttreten des Gesetzes lag ein gutes Jahr, so dass, wer über entsprechendes Kapital verfügte, genügend Zeit hatte, sich einen Vorrat hochwertiger Spirituosen anzulegen, der fürs nächste Jahrzehnt ausreichte. Die Keller der Villen der besseren Kreise jedenfalls waren gut gefüllt, wer mehr von der Hand ins Glas lebte, musste notgedrungen auf die oft gesundheitsgefährdenden Angebote der zahllosen Schwarzbrennereien zurückgreifen. Es war die Blütezeit der Barkeeper, die in ihren Cocktails versuchten, den oft unerträglichen Geschmack der zweifelhaften Brände mit allerlei aromatischen Ingredienzen zu übertönen.
›The Business of America is Business‹, mit diesem Slogan fasste Calvin Coolidge, der 30. Präsident der USA, sein politisches Programm kurz und knapp zusammen. Der Geschäftsklimaindex stand günstig für Selfmademen, Glücksritter und Spekulanten, es war die Geburtsstunde großer Vermögen, von denen nicht wenige auf dem schwarzen Markt für Alkohol erwirtschaftet wurden. Die Prohibition, in Kriegszeiten aus dem protestantischen Milieu mit dem Argument lanciert, sie stärke die Moral, die Volksgesundheit, und damit die Wehrhaftigkeit des Landes, hatte ursprünglich breite Zustimmung in der Bevölkerung gefunden. Als sie schließlich umgesetzt wurde, lag der Krieg längst weit zurück, standen die Zeichen auf Party und niemand nahm das Alkoholverbot so richtig ernst. In New York jedenfalls hatte sich die Zahl der Kneipen im ersten Jahr der Prohibitgion. Die Behörden waren mit der Durchsetzung des Gesetzes überfordert und es etablierte sich schnell eine ausufernde Schattenwirtschaft, die nach kurzer Zeit von rivalisierenden Gangs kontrolliert wurde. Al Capone ist der bekannteste Vertreter dieser Sorte Geschäftsleute, die sich nicht scheuten, ihre Interessen auf offener Straße mit Waffengewalt durchzusetzen.
Nicht alle vermochten im Big Business den wahren Sinn des Lebens zu erkennen. Eine Vielzahl junger Schriftsteller, Intellektueller und Künstler kehrten von den Schlachtfeldern Europas zurück, um in der Heimat an der Banalität und Provinzialität des amerikanischen Materialismus zu verzweifeln. Es zog sie zurück nach Europa, wo sie vor allem Paris und die Côte d’Azur bevölkerten. Ernest Hemingway, E.E. Cummings, John Dos Passos, Archibald MacLeish, T.S Eliot, Ezra Pound waren die bekanntesten exilierten Schriftsteller, für die Gertrude Stein den Begriff der Lost Generation prägte. Und natürlich mittendrin: F. Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda. Das extravagante Paar hatte schon in New York im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden. Fitzgerald hatte mit seinem Roman »Diesseits vom Paradies« ein furioses Debut auf dem amerikanischen Buchmarkt hingelegt, noch viel mehr Ruhm erwarb er aber mit seinen Kurzgeschichten, für die Zeitungen und Zeitschriften horrende Honorare zahlten, vom glamourösen Lebensstil der Fitzgeralds aber sofort aufgezehrt wurden.
Fitzgerald hatte ein klares Ziel vor Augen: Er wollte der beste amerikanische Autor werden. Nachdem der Start ja verheißungsvoll war, begann er 1923 mit Arbeit an »Der große Gatsby«, 1924 übersiedelten er und Zelda an die Riviera, wo er auf Empfehlung seines Lektors das Manuskript noch einmal gründlich überarbeitete. Als der Roman 1925 dann erschien, konnte er nicht an den Erfolg von »Diesseits vom Paradies« anknüpfen. Die Kritiker waren zurückhaltend in ihrem Urteil und in den ersten Monaten nach dem Erscheinen wurden nur 20.000 Exemplare verkauft. Der scheinbare Misserfolg kratzte an Fitzgeralds Ego. Bis zu seinem Tod 1940 war er überzeugt, dass sein literarisches Werk der Vergessenheit anheimfallen würde. Das Gegenteil trat ein: Im Laufe der 1940er Jahre entdeckten Amerikas Leser sein Oeuvre neu und »Der große Gatsby« wurde unwiderruflich fester Bestandteil des Kanons der Weltliteratur.
Vier Orte spielen im Roman eine Rolle: West-Egg, East-Egg, das >Tal der Asche< und New York. Sie bilden die soziale Topografie einer Geschichte, die nur vordergründig eine Liebesgeschichte ist. Nick Carraways Haus liegt in West-Egg, »dem — nun ja, weniger eleganten der beiden, obwohl der bizarre und geradezu unheimliche Kontrast zwischen ihnen damit nur oberflächlich bezeichnet ist. Im gegenüber gelegenen East-Egg glitzerten längs der Küste die weißen Paläste des eleganten East Egg, und die Geschichte jenes Sommers beginnt so richtig erst mit dem Abend, als ich hinüberfuhr, um bei den Buchanans zu dinieren.« Nicks heruntergekommener Bungalow liegt zwischen zwei stattlichen Anwesen, die Gentrifizierung hat bereits eingesetzt, allerdings landen hier offensichtlich die Reichen zweiter Klasse, denen der Zugang zum exklusiveren East-Egg versperrt bleibt. Altes Geld – Neues Geld, das machte auch in der amerikanischen Gesellschaft einen Riesenunterschied. Gatsby täuscht sich, wenn er Tom Buchanan mit den Worten angreift: »Das einzig respektable an Ihnen, ist ihr Geld. Und davon habe ich genauso viel. Wir gleichen uns also.« Das Argument trifft nicht wirklich, den Buchanan, als Vertreter des Alten Geldes weiß natürlich: Gleicher Kontostand bedeutet noch lange nicht gleicher gesellschaftlicher Status. Und so kontert er: >Wir unterscheiden uns. Ich, Jordan, Nick, Daisy – wir unterscheiden uns alle von Ihnen. Wissen Sie, wir sind in verschiedenen Welten geboren. Es liegt uns im Blut. Und nichts was sie tun oder sagen oder stehlen oder abkupfern wird das je ändern.< Auch wenn der es in diesem Augenblick noch nicht wahr haben will, mit diesem Satz wird Gatsbys Traum brutal beendet, dem er sein Leben untergeordnet hat.
Auch im ›Tal der Asche‹ ist der Traum vom Aufstieg gegenwärtig. Aus dem grauen Niemandsland der Müllkippen zwischen New York und Long Island will Myrtle Wilson, Ehefrau eines Automechanikers, entfliehen. Ihre Affäre mit Tom Buchanan bringt ihr ein Appartement in der City und Geld ein, doch mehr als die Rolle der Geliebten ist für sie nicht vorgesehen. Wie Gatsby wird sie die imaginären Standesgrenzen nicht überwinden und wie er, wird sie ihren Traum nicht überleben.
In Gatsbys Traum hat sich seine Liebe zu Daisy verselbständigt, sie ist zum Motor seines Aufstiegs geworden. All seine protzigen Besitztümer und die opulenten Partys machen nur Sinn, wenn sie durch Daisys Liebe geadelt werden. In dem Augenblick, in dem Daisy sich nicht eindeutig zwischen ihm und Tom entscheidet, werden sie zur Kulisse einer hilflosen Inszenierung.
Erst nach Gatsbys Tod wird Nick klar, in welchen Grad von Einsamkeit Gatsbys Traum geführt. Am Grab findet sich nur dessen alter Vater ein, den Gatsby einst voller Verachtung für seine Mittellosigkeit verlassen hat. Nun ist er der letzte Bewunderer seines Sohnes.
Nick Carraway, der seinen Traum von der Schriftstellerei zugunsten der Börse geopfert hat, sieht in Gatsbys Scheitern das Schicksal seiner Generation: »Er hatte einen so langen Weg zurückgelegt. Und sein Traum muss ihm zum Greifen nah erschienen sein. Doch er wusste nicht, dass er bereits hinter ihm lag. Aber was machte das schon. So kämpfen wir uns voran, Boote gegen die Strömung, unablässig zurückgetragen, der Vergangenheit zu.«
Matthias Heid