Ins Netz gegangen 14.12.2024

Die Nacht, als Laurier erwachte

Michel Marc Bouchard

Aus dem Französischen von Frank Heibert

Deutschsprachige Erstaufführung

MIREILLE, berühmte Thanatopraktikerin, Tochter der Toten Yana Robin La Baume / MÉGANE TREMBLAY, junge Thanatopraktikerin Lou von Gündell / ÉLIOT, Mireilles jüngster Bruder Moritz Schulze / JULIEN, Mireilles älterer Bruder, Chantales Ehemann Roman Majewski / CHANTALE, Juliens Ehefrau Nathalie Thiede / DENIS, Mireilles jüngerer Bruder Paul Trempnau / DIE MUTTER Inge Mathes / LAURIER GAUDREAULT

 

Regie Michael Letmathe / Bühne und Kostüme Florence Schreiber / Musik Fabian Kuss / Dramaturgie Theresa Leopold / Regieassistenz Florian Elias Ott / Soufflage Natasha Pandazieva

 

Technische Leitung Marcus Weide / Produktions- und Werkstattleitung Lisa Marlen Hartling / Assistent der Technischen Leitung Henryk Streege / Leitung dt.2 Tobias Gleitz / Beleuchtung Ottmar Schmidt / Ton- und Videotechnik Mathias Schirrmeister, Tobias Steinfort / Requisite Sabine Jahn (Leitung), Daniela Niehaus (Einrichtung) / Maske Frauke Schrader (Leitung), Renée Donnerstag (Einrichtung), Mats Marcinkowski (Einrichtung)  / Kostümausführung Ilka Kops (Leitung), Heidi Hampe, Stefanie Scholz / Malsaal Eike Hansen / Schlosserei Robin Senger / Dekoration Axel Ristau / Tischlerei Maren Blunk

 

Aufführungsdauer ca. 1 Stunde, 40 Minuten, keine Pause

 

Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

 

Probenfotos Anton Säckl

 

Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet.

Über Michel Marc Bouchard

Michel Marc Bouchard, 1958 in Saint-Coeur-de-Marie in Kanada geboren, hat über 20 Stücke geschrieben, von denen viele ins Englische, Spanische, Holländische, Italienische und Deutsche übersetzt wurden, und zählt heute zu den einflussreichsten Theaterautoren seines Landes. In Deutschland wurde er 1997 durch sein Kinderstück »Die Geschichte von Teeka« bekannt. Als Stücke für Erwachsene liegen in deutscher Sprache »Die verlassenen Musen«, »Gefahrenzone« und »Tom auf dem Lande« vor. Die Verfilmung von »Tom auf dem Lande« unter der Regie von Xavier Dolan, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den International Critics Award bei der Mostra 2013 in Venedig. Die deutschsprachige Erstaufführung von »Tom auf dem Lande« inszenierte ebenfalls Michael Letmathe.

Die Stücke von Bouchard scheinen sich oft um die Frage der Marginalität zu drehen, er porträtiert Charaktere die abgelehnt und gemartert wurden. In dem Magazin »Voix plurielles« (2020) erläutert er, wie er sich in seinen Stücken durchaus auch mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt. Er wurde Ende der 1950er Jahre geboren und wuchs auf in einer Zeit, in der, in seiner Wahrnehmung, insbesondere Homosexuelle marginalisiert wurden – in dem Sinne, dass sie einen Teil ihres Lebens geheim halten mussten. Er wisse natürlich, so Bouchard, dass Marginalisierung viel mehr Menschen betreffe –  und bilde dies auch in seinen Stück ab. Jedoch habe ihn insbesondere diese frühe Beobachtung als Kind geprägt, das in einer konservativen und katholischen Welt aufgewachsen sei. Aus seiner Perspektive habe er keine andere Wahl gehabt als zu fantasieren, ein anderes Universum für sich neu zu erfinden, um zu existieren. Dies sei womöglich der Ursprung dafür, dass marginalisierte Menschen einen großen Fokus in seinen Stücken einnähmen. Das Theater sei ein guter Ort für eben solche Auseinandersetzungen, da das Theater selbst im Verhältnis zur Gesellschaft eine marginalisierte Position einnehme.

Bouchard über »Die Nacht, als Laurier erwachte«

Unzufrieden mit allen und unzufrieden mit mir selbst

möchte ich gerne Wiedergutmachung leisten und im Schweigen

und in der Einsamkeit der Nacht ein wenig Stolz wiedergewinnen.

 

Mécontent de tous et mécontent de moi, je

voudrais bien me racheter et m’enorgueillir un

peu dans le silence et la solitude de la nuit.

 

Charles Baudelaire, »À une heure du matin / Um ein Uhr nachts« (1869)

Sie war verliebt, hat den schlafenden Körper von Laurier Gaudreault geliebt, aber als er erwachte, hat dieser Prinz-mit-Doppelleben das junge Mädchen, anders als im Märchen, in die Abgründe der Lüge mitgerissen.

 

(Ja, ich weiß. Schon wieder die Lüge. Da bin ich stur.)

Die Frau, die früher den Lebenden im Schlaf zusah, als wären sie tot, gibt heute den Toten das Aussehen von Lebenden. Unfähig im Umgang mit Menschen sucht die Künstlerin der Leichen Trost in der Reglosigkeit ihrer Körper und vertraut sich ihrem unsterblichen Schweigen an.

Zuvor hat sie durchaus einmal versucht, aus den Tiefen aufzusteigen. Sie hat geglaubt, einen Schlussstrich unter ihr Schauermärchen rund um Laurier Gaudreault zu ziehen. Doch die Worte, mit denen sie nach Heilung suchte, sind, über den Tod ihrer Mutter hinaus, zu einer Anklage geworden. Während sie die Frau, die ihr das Leben schenkte, ausbluten lässt und mit Plastik vollpumpt, entweiht ihre Banausen-Familie die Zeremonie und fordert die Wahrheit ein.

 

(Ja, ich weiß. Schon wieder die Wahrheit. Da bin ich stur.)

Verzeihen bringt Trost, Vergebung bringt Erhebung. Wie lässt sich in einer Welt, wo Spiritualität als veraltet gilt, wo moralische, ethische Werte jeden Tag weiter ausgehöhlt werden, die Suche nach Vergebung ansprechen?

 

Laut Umberto Eco hat unsere Epoche fast alles abgetötet. Durch das Verschachern der Würde hat sie sogar die Scham abgetötet. Vorherrschender Wert ist der „Schein“, auch wenn man sich dafür mit Schande bedecken muss. In diesem Sinne sind jetzt Schande und Obszönität angesagt.

Die Protagonisten meines Stücks haben versucht, sich dem unerbittlichen Urteil der Gesellschaft zu entziehen, und das Ergebnis war verheerend.

 

Können wir wirklich „neugeboren werden“? Können wir die düsteren, einbalsamierten Anteile unserer Vergangenheit zu neuem Leben erwecken? Sind wir von unserem Wesen her unerlösbar?

Éliots Song – The Dark

I didn’t know where to go

I didn’t know where to show

Up on the streets is where

I felt something and were saying

I am here and not hey can’t hurt you

If only I could make you feel this, too

If I could change the way you see yourself

The void inside you wouldn’t

The void inside you wouldn’t

I am here and not hey can’t hurt you

If only I could make you feel this, too

If I could change the way you see yourself

The dark inside you wouldn’t

The dark inside you wouldn’t grow