Ins Netz gegangen 5.9.2024
Die Guten
Rebekka Kricheldorf
Fortitudo Charlotte Wollrad / Justitia Judith Strößenreuter / Temperantia Marie Seiser / Prudentia Andrea Strube
Regie Meera Theunert / Bühne Laura Robert / Kostüme Annabelle Gotha / Musik Michael Frei / Dramaturgie Sonja Bachmann / Regieassistenz Sarah Maroulis / Soufflage Gerald Liebenow / Kostümhospitanz Ronja Kirschke
Special Guest im Video Tara Helena Weiß als Castitas
Technische Leitung Marcus Weide / Produktions- und Werkstattleitung Lisa Marlen Hartling / Assistent der Technischen Leitung Henryk Streege / Leitung dt.2 Tobias Gleitz / Beleuchtung Ottmar Schmidt / Ton- und Videotechnik Mathias Schirrmeister, Tobias Steinfort / Requisite Sabine Jahn (Leitung), Daniela Niehaus (Einrichtung) / Maske Frauke Schrader (Leitung), Renée Donnerstag (Einrichtung), Mats Marcinkowski (Einrichtung) / Kostümausführung Ilka Kops (Leitung), Heidi Hampe, Stefanie Scholz / Malsaal Eike Hansen / Schlosserei Robin Senger / Dekoration Axel Ristau / Tischlerei Maren Blunk
Aufführungsdauer
1 Stunde, 30 Minuten
keine Pause
Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet.
Aufführungsrechte
Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin
Probenfotos Anton Säckl
Luft nach oben
Fragen an die Autorin
In »Die Guten« ringen die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Mut, Klugheit und Mäßigung mit sich und den Menschen. Das ist nicht ganz einfach und konfliktlos, denn immerhin geht es um nicht weniger als ein gutes Zusammenleben der Menschheit. Das ist erst einmal ein ganz schön gewichtiger thematischer Brocken, den du dir da vorgenommen hast, und da rechnet man erst einmal mit etwas sehr Tragischem und Ernstem. Aber dein Stück ist getragen von einem sehr starken Witz. Wie kam das für dich zusammen, das thematisch Ernste und der Humor?
Ernst und Humor sind für mich grundsätzlich kein Widerspruch, bei egal welchem Thema, eher im Gegenteil: Guter Humor speist sich meist aus sehr Ernstem, wenn nicht gar Tragischem. Deshalb brauchen wir ihn ja, um das Tragische zu ertragen! Und die Tugenden haben als allegorische Figuren schon per se großes komisches Potential: Sie kommen so hehr, zeitlos und ›bigger than life‹ daher, benehmen sich mit all ihren Schwächen, Eitelkeiten und Zickigkeiten dann aber erstaunlich menschlich. Diese Kollision von Hohem und Niederem, Erhabenem und Trivialem finde ich zum Beispiel immer sehr witzig.
Suchst du für den Humor, die Witzigkeit und Komik dann eher bei den Figuren, ihren Aussagen, Begegnungen und Charakteren oder schaust du mehr, wie die Wirkung auf das Publikum ist?
Also, ich lasse mich da eher von den Figuren leiten. Die erschaffen, wenn man sie aufeinander los lässt, oft ganz von alleine komische Situationen. Oder hauen manchmal Sprüche raus, die mich selbst überraschen. An die Wirkung denke ich beim Schreiben kaum. Es ist eh schwierig, vorauszuahnen, wer was lustig finden wird oder nicht. Ich betreibe da erstmal ganz egoistisches Selbst-Entertainment. Aber da ich mich nicht für so wahnsinnig einzigartig halte, spekuliere ich darauf, dass das, was ich lustig finde, vielleicht noch mindestens ein anderer Mensch ebenfalls lustig finden wird. Und damit wären wir schon zwei!
Wenn ich mir unsere Proben anschauen, sind wir schon mindestens 15. Wobei uns manchmal auch umhaut, wie böse, gemein, zynisch, fies und unangenehm die sind, diese Tugenden (!) …
Dass sie manchmal ein bisschen zynisch werden, muss man verstehen: Nach über zweitausend Jahren Enttäuschung angesichts des menschlichen Verhaltens darf wohl ein wenig Häme erlaubt sein. Aber, seltsam: Als böse oder fies empfinde ich sie überhaupt nicht! Sie zicken sich halt manchmal an, aber eher wie Schwestern, die sich zu gut kennen.
Ja, unter den Schwestern ist es so wie es unter Schwestern manchmal ist. Auf jeden Fall! Aber mit den Menschen sind zumindest Temperantia, Justitia und Fortitudo recht ungnädig. Gutmütiger, aber fauler Schüler wird der Homo Sapiens genannt, ihm wird attestiert, dass er nur bis zum nächsten Bier, Fick, Erfolg denkt, sich selbst besser lügt, als er ist oder sich als feiger Hasenfuß gebärdet. Wie kam es zu der Entscheidung, eher auf die Fehlbarkeit und das Unvermögen der Menschen zu schauen als auf die Versuche, es besser zu machen?
Dazu muss ich jetzt länger ausholen: Weil diese Bessermach-Versuche nicht genügen! Und sich zudem so mancher Bessermach-Versuch bei näherer Betrachtung eher als selfcare herausstellt.
Ich ging mit der Frage ans Stück heran, was individueller nachhaltiger Konsum wirklich bewirkt. Die Recherche brachte Erhellendes zutage. Kurz: Unser Selbstbetrug im Segment ›Gutsein‹ ist enorm! Wir überschätzen die positive Wirkung ziemlich, die unser individueller, ›grüner‹ Konsumakt hat. Außerdem tun wir hauptsächlich Gutes, wenn es uns selbst guttut. Oder uns zumindest nicht wehtut. Echter Verzicht? Da wird’s schon eng. Da kann jeder und jede gern mal den Selbsttest wagen. Meiner sähe ungefähr so aus: Ich kann relativ leicht auf Fleisch verzichten und mir das als tollen, tugendhaften Konsumverzicht ans Revers heften. Der Verzicht schmerzt mich aber nicht so sehr, da mir Fleisch nicht besonders schmeckt. Werde ich allerdings zu einer Premiere in die USA eingeladen, ist es eher unwahrscheinlich, dass ich aus Klimagründen auf die Reise verzichte. Dieses ›selektive Gutsein‹, immer nur dann, wenn es zu meinen Neigungen passt, scheint mir recht weit verbreitet zu sein. Und das wäre vielleicht gar nicht mal so tragisch, wenn es nicht auch noch dazu führte, anderen gegenüber Überheblichkeitsgefühle zu entwickeln, Stichwort Klassismus.
Und noch ein Wort zu Fortitudo und dem Hasenfuß-Vorwurf: ›Gratismut‹ gibt’s an jeder Ecke und auf jeder Social-Media-Plattform, echter Mut kommt tatsächlich selten vor. Faktisch finden sich nur wenige, die den Mut aufbringen, zum Beispiel gegen eine Diktatur zu kämpfen, wenn sie, ihre Eltern und ihre Kinder mit Folter und Tod bedroht werden. Wie würde ich da handeln? Ich sähe mich natürlich lieber als tapfere Widerstandskämpferin, bin mir aber nicht so sicher, wie ich mich wirklich unter Druck verhalten würde.
Die Tugenden sind gekommen, um uns daran zu erinnern, dass es wesentlich mehr Anstrengung kosten würde, wirklich tugendhaft zu leben. Dass da noch enorm viel Luft nach oben ist! Der Mensch ist nun mal ein Bequemlichkeitstier. Uns immer wieder zu ermahnen, unsere Bequemlichkeit zu überwinden, dazu sind die Tugenden da. Und nicht, um uns für unsere mickrigen Erfolge lobend zu tätscheln. Das hat vielleicht auch etwas mit meinem Selbstverständnis als Theaterautorin zu tun: Ich bin nicht gekommen, um zu empowern. Ich bin gekommen, um unangenehme Fragen zu stellen.
Darf ich der Autorin dennoch eine Frage stellen, auf die sie ja nicht mit einem dramatischen Text, sondern mit einer Antwort in einem Gespräch reagieren soll? Wo siehst du gesellschaftlich Hebel, um weiterzukommen?
Also, wenn es explizit um die Frage nach Klimaschutz geht, die ich für die wichtigste der Menschheit halte, so hab ich da eine eindeutige Antwort: Das ginge wirkungsvoll nur über strenge, von der Politik aufgestellte Regeln, vulgo: Verbote. Eben nicht nur für den einzelnen, sondern auch für Firmen, Großunternehmen, Konzerne. Leider wittert die Mehrheit bei solchen Maßnahmen ja gleich Freiheitsberaubung, Stichwort Ökodiktatur, und wählt die falschen Parteien. Deswegen bin ich da eher pessimistisch.
Ich glaube, wenn wir uns mal von der (für uns ja sehr bequemen) Idee verabschieden, dass individueller grüner Konsum die Welt retten kann, haben wir schon viel gewonnen. Denn, wie die Tugenden wissen: Was ist echter, grüner Konsum? Gar kein Konsum. Aber ich finde es grundsätzlich überhaupt nicht lächerlich oder sinnlos, sich darum zu bemühen, ein besserer Mensch zu werden. Nur sollten wir ehrlich zu uns sein, was die Wirkmächtigkeit unseres Tuns betrifft. Womit kämen wir also wirklich weiter? Auch wenn ich jetzt wie eine Regionalpolitikerin klinge: Durch Stärkung des Gemeinwohls und mehr gesellschaftlichem Engagement! Es gibt ja durchaus Leute, die sich gesellschaftlich engagieren, also jenseits von Facebook-Posts und Konsumakten wirklich was tun. Das sind aber die wenigsten von uns. Da muss ich mir auch an die eigene Nase fassen, da bin ich auch viel zu träge und praktiziere eher eine Art Ablasshandel, indem ich an Organisationen spende, die ich wichtig finde, statt mich selbst einzubringen. Eben auch bei mir: Luft nach oben!
Die Fragen stellte Sonja Bachmann