Ins Netz gegangen 22.2.2025
Nach dem Leben (After Life)
Jack Thorne • nach dem Film von Hirokazu Kore-eda • Konzept von Bunny Christie, Jeremy Herrin, Jack Thorne • Deutsch von John Birke
Personal Stella Maria Köb / Roman Majewski / Marco Matthes / Charlotte Wollrad / Gerd Zinck / Michael Frei (Musik) // Klient*innen Angelika Fornell (Beatrice Killick) / Lou von Gündell (Jill Smart) / Nikolaus Kühn (Henry Thompson) / Marina Lara Poltmann (Irene Stengel) / Paul Trempnau (Leif Taylor) / Jürgen Wink (Heinrich Moch) // Statisterie Seth Bock, Mischa Drüner, Tilla Jeßing, Petra Karsubke, Ina Laengner, Thomas Trempnau // Im Video Dr. Franz-Josef Bartels, Gerda Maria George, Petra Hoffmann, Erika Hoppe, Ralph Hoppe, Ina Schulz-Fleißner, Evelyn Frühwald, Ursula Nagel, Jörg Reinemann
Regie Ulrike Arnold / Bühne Daniel Roskamp / Kostüme Anne Buffetrille / Musik Michael Frei / Dramaturgie Michael Letmathe / Regieassistenz Katja Hagedorn, Lillian Sophie Jöster, Justin-Silvan Middeke / Soufflage Carolin Kahnt / Inspizienz Uta Knust / Erinnerungsfotos Frank Stefan Kimmel
Technische Leitung Marcus Weide / Produktions- und Werkstattleitung Lisa Hartling / Assistent der Technischen Leitung Henryk Streege / Technische Einrichtung Marco Wendt / Beleuchtung Michael Lebensieg / Tontechnik Julian Wedekind (Leitung), Bernd Schumann, Frank Polomsky (Einrichtung) / Maske Frauke Schrader (Leitung, Einrichtung), Johanna Maria Pfitzner (Einrichtung), Renée Donnerstag (Einrichtung) / Requisite Sabine Jahn (Leitung), Johannes Frei (Einrichtung) / Kostümausführung Ilka Kops (Leitung), Heidi Hampe, Stefanie Scholz / Malsaal Eike Hansen / Schlosserei Robin Senger / Dekoration Regina Nause, Axel Ristau / Tischlerei Maren Blunk
Aufführungsdauer
- 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause
Aufführungsrechte
Rowohlt Theaterverlag, Hamburg
Probenfotos
Thomas Müller
Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet.
»Nach dem Leben« – Vom Film auf die Theaterbühne
Gleich hinter dem Tor zum Jenseits, wo jede Woche die frisch Verstorbenen eintreffen, erwartet die Neuankömmlinge eine unerwartete Aufgabe: Alle werden gebeten, eine besondere Erinnerung aus ihrem vergangenen Leben auszuwählen – den einen Moment, der am meisten bedeutet und den es lohnt, in die Ewigkeit mitzunehmen. Während ihrer Woche in diesem Übergangsbereich setzen sich die Verstorbenen intensiv mit dieser Entscheidung auseinander.
Begleitet werden sie von jenen Verstorbenen, die selbst noch keine endgültige Wahl treffen konnten und daher in dieser Zwischenwelt verweilen. Ziel dieses Prozesses ist es, in der zweiten Wochenhälfte den Moment nachzustellen, in dem genau diese auserwählte Erinnerung im Mittelpunkt steht.
Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda, der bereits mit seinem einfühlsamen Erstlingswerk »Maboroshi no hikari« beeindruckte, entwickelt aus dieser Idee eine tiefgründige Erzählung. Sein Film »After Life« erforscht die vielschichtige Natur menschlicher Erinnerungen – er erfindet einen Ort, an dem Realität und Fiktion untrennbar miteinander verwoben sind. Nirgendwo sonst, außer vielleicht im echten Leben, geschieht dies intensiver als im Kino.
»Die Identität eines Menschen ist untrennbar mit seinen Erinnerungen verbunden«, sagt Kore-eda. Auf den Kinoleinwänden der Welt werden diese Erinnerungen immer wieder in eindrucksvolle Bilder übersetzt – mal realitätsnah, mal in weiter Ferne von der Wirklichkeit. »After Life« vereint beides: Der Film entführt uns an einen fiktiven Ort jenseits des Lebens, an dem die Verstorbenen ihre bedeutendsten Momente für immer bewahren. Trotz der surrealen Atmosphäre strahlt dieser Ort eine tiefe Ruhe aus, die den Ankommenden hilft, inneren Frieden zu finden. Denn erst, wenn wir verstehen, wer wir wirklich sind, können wir mit uns selbst im Reinen sein.
Der 1978 in Bristol geborene Jack Thorne ist Autor für Hörspiel, Theater und Film und hat als solcher für die Serien »Skins« und »This is England« gearbeitet. Außerdem war er neben J.K. Rowling Co-Autor bei dem Theaterstück »Harry Potter und das verwunschene Kind«. Er hat eine Theaterfassung des Filmes erarbeitet. Das Stück wurde am 2. Juni 2021 im Dorfman Theatre des Royal National Theatre in London uraufgeführt. Das Deutsche Theater Göttingen zeigt »Nach dem Leben« als erstes Theater in Deutschland.
Wir wissen nicht was passiert, wenn wir sterben. Geht es weiter oder beginnt ein ewiges Dunkel? In dem Stück »Nach dem Leben« kommen die Verstorbenen in eine Zwischenwelt. In eine Art Limbus. Das ist eine angenehme, aber kühne Behauptung. Dieses Thema – was passiert, wenn wir von dieser Welt abtretet – ist Grundlage für viele Forschungen. Außerdem gibt ja tatsächlich Menschen, die eine Nahtoderfahrung hinter sich haben. Diese Erlebnisse bringen etwas mehr Aufschluss über die Welt, die uns alle erwartet.
Erinnerungen an die Erfahrung des eigenen Todes
Eine philosophische Interpretation der ›Nahtoderfahrung‹ aus der Hochschule für Philosophie München
Menschen, die sich auf Grund einer medizinischen Notlage am Rande des Todes befinden, berichten über intensive Erlebnisse, die außerhalb der normalen Bewusstseinszustände liegen. Die Häufigkeit solcher Erfahrungen ist nur grob einzuschätzen, da viele Betroffene einen Herzstillstand nicht überleben. Empirische Daten legen nahe, dass ca. 20% der Patient:innen bei einem Herzstillstand solche außergewöhnlichen Bewusstseinszustände haben. Aufgrund der Fortschritte in der Intensivmedizin leben heute in den technisch hochentwickelten Gesellschaften Millionen von Menschen, die eine Reanimation überlebt und diese tiefgreifenden Erfahrungen gemacht haben.
Aus dem Englischen übersetzt hat sich dafür der Ausdruck »Nahtoderfahrung« (NTE) durchgesetzt. Der Begriff wurde eingeführt durch Raymond Moody, dessen 13 Millionen Mal verkauftes Buch »Life after Life« das Phänomen 1975 einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Zumindest die besonders typischen Inhalte dieser Erfahrungen sind mittlerweile kulturelles Gemeingut geworden. Seit Jahrzehnten berichten Bestseller, Zeitschriftenartikel und filmische Dokumentationen von der Welt dieses intensiven Erlebens auf dem scharfen Grat zwischen Leben und Tod. Auch die Wissenschaft hat das Thema längst entdeckt. (…) Auf der einen Seite stehen reduktionistisch eingestellte Interpret:innen, die in der NTE nur eine bedeutungslose »Gute-Nacht-Geschichte« des Gehirns sehen wollen. Man könnte dies die »deflationäre« Interpretation nennen. Auf der anderen Seite gibt es vehemente Verfechter:innen einer übernatürlichen Interpretation, die mit dem Phänomen der NTE die Existenz eines außerweltlichen Jenseits beweisen wollen. Solche vorschnellen Antworten verstellen aber den Blick auf das eigentliche Phänomen und sie klammern die ungeklärten Interpretationsfragen letztlich zugunsten einer Vorentscheidung aus. Die Forschung zum Thema NTE hat aber erst begonnen. Die NTE ist ein medizinisch, psychologisch, theologisch und philosophisch relevantes und rätselhaftes Phänomen, das weiterer Aufklärung bedarf. (…)
Zunächst rein auflistend kann man folgende phänomenalen Gehalte angeben:
Ein Bewusstsein davon, tot zu sein, ein Gefühl von Frieden und großer geistiger Ruhe und Klarheit, ein Gefühl der Befreiung und Schwerelosigkeit; außerkörperliche Erfahrungen wie die Wahrnehmung des eigenen Körpers von außen, ein Rundumblick aus der Vogelperspektive; einen detaillierten und die eigene Existenz erhellenden Lebensrückblick; sich selbst aus der Perspektive anderer Personen erfahren; Einsicht in die Folgen der eigenen Handlungen (Dominoeffekt); eine Erfahrung des Eintauchens in einen Tunnel, das Gefühl eines Übergangs, das Gefühl den eigenen Körper zurückzulassen, das Gefühl sich von den Ereignissen in der Welt loszulösen, eine schnelle Bewegung auf ein starkes Licht zu, das Gefühl geistig angezogen zu werden; das Gefühl in eine andere Realität einzutreten und in einem geistigen Sinne zuhause zu sein, die Erfahrung von Hilfe und Unterstützung, geistige Kommunikation mit »Lichtwesen«; das Gewinnen tieferer Erkenntnis über den Sinn menschlicher Existenz, der geistige Horizont erweitert sich; das Gefühl des Eintauchens in bedingungsloser Liebe; die Annäherung an eine Grenze, ein widerwilliges Zurückkehren in den biologischen Körper und damit verbundene Schmerzen. (…)
Die typischen Erlebnisse in einer Nahtoderfahrung
Im Folgenden werden diese einzelnen Elemente noch etwas genauer analysiert und auch kritisch eingeordnet: Nach einer ersten Phase eines Angsterlebens und der Einsicht, dass es mit dem eigenen Leben zu Ende geht, finden sich die Menschen plötzlich in einer anderen Welt wieder, die sie so intensiv und plastisch wahrnehmen, dass sie auch im Nachhinein meist nicht an der Realität des Erfahrenen zu zweifeln vermögen. Dabei empfinden sie Glück, Gelassenheit, Liebe und andere positive Gefühle in einem Maße, dass alle vorher gemachten Erfahrungen auf unaussprechliche Weise in den Schatten gestellt werden. Die geistigen Prozesse laufen mit einer solchen inneren Klarheit, Präsenz und Intensität ab, dass das normale Wachbewusstsein im Vergleich fade und schwerfällig wirkt. Die Realität des Erfahrenen wird von den Betroffenen als »wirklicher als die Alltagswelt« beschrieben. Dieser Eindruck der Hyper-Realität ist typisch für mystische Erfahrungen oder Erfahrungen der Transzendenz. Obwohl die erlebte Wirklichkeit fremdartig und ungewohnt ist, unterscheidet sie sich doch von bizarren Traum- oder Rauschvorstellungen durch ihre innere Kohärenz, ihren klaren existentiellen Bedeutungsgehalt und einen inneren Duktus einer Reise in eine andere Dimension und eine erzwungene Umkehr.
Am Anfang der Nahtoderfahrung steht nicht selten das Erleben, den eigenen Körper zu verlassen. Nach dem Verlassen des Körpers wird die normale Alltagswelt aus einer veränderten Perspektive wahrgenommen. Die Person erlebt sich meist als über dem Geschehen schwebend. Der eigene Körper und die Bemühungen der Notfallmediziner sind dann beispielsweise der Gegenstand der Wahrnehmung. Selbst Blinde berichten von detaillierten optischen Wahrnehmungen.
Auffallend ist, dass die erlebte Realität nicht wahnhaft verzerrt ist, sondern das reale Geschehen oft bis in die kleinsten Details exakt beobachtet und oft auch langfristig erinnert wird. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, später das Erinnerte mit dem Zeugnis Dritter zu vergleichen. Diese Fälle wurden zum Teil gut dokumentiert. Hier stößt man auf eine der schwierigen Interpretationsfragen der NTE. Es erscheint nämlich so, dass sich die Betroffenen in einigen Fällen sehr präzise an Ereignisse erinnern können, die sie eigentlich im Zustand des Herzstillstandes oder aus der Position ihres Körpers nicht hätten wahrnehmen können. Die Berichte sind aber überraschend kleinteilig exakt, dass Zufallstreffer durch reines Fabulieren in vielen Fällen ausgeschlossen werden können.
(aus »Eine philosophische Interpretation der ›Nahtoderfahrung‹« von Prof. Dr. Godehard Brüntrup, Professor für Metaphysik und Philosophie des Geistes, 2014)